Optimum - Kalte Spuren
Dann hörte Rica, wie ein Stuhl zurückgerollt wurde. Im nächsten Moment schlug die Vordertür auf.
»Patrick!«
Die Stimme kam Rica bekannt vor. Sie brauchte nur einen kurzen Augenblick, um sie einordnen zu können. Ihr Vater. Sie war sich ganz sicher. Obwohl sie ihn praktisch ihr ganzes Leben lang nicht gesehen hatte, war es beinah so, als gehöre die Stimme einem alten Bekannten.
»Was tust du hier?« Der »Psychopath« namens Patrick klang ziemlich genervt. »Soll ich im Institut anrufen und ihnen sagen, wo du bist?«
»Das wissen sie ohnehin. Bis jemand hier ist, bin ich schon längst wieder weg.« Rica hörte die Tür zufallen und ihren Vater den Raum durchqueren. »Du musst aufhören, Patrick. Die Kinder dort unten drehen langsam durch. Wenn du sie noch mehr reizt, gibt es Tote. Und dieses Mal wirklich.«
»Nicht mein Problem«, erwiderte Patrick. »Ich gebe meine Beobachtungen weiter, und bis jetzt hat sich noch niemand mit neuen Anweisungen gemeldet.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen, und Rica war sich vollkommen sicher, dass ihr Vater zu verblüfft zum Sprechen war. »Das kann doch nicht dein Ernst sein«, meinte er auch gleich darauf. »Das sind Kinder dort unten. Und die bringen sich gegenseitig um. Ich glaube, dass wir beide dort unten nach dem Rechten sehen sollten. Ihnen sagen, was Sache ist.«
Wieder Schweigen. Dieses Mal war es wohl Patrick, dem es die Sprache verschlagen hatte. »Das ganze Experiment aufs Spiel setzen?«, sagte er schließlich ruhig. »Du arbeitest nicht mehr für uns, Thomas, schon vergessen?«
»Und jetzt weiß ich auch, warum.« Rica konnte den Zorn in der Stimme ihres Vaters hören.
»Thomas! Warte! Was hast du jetzt vor?« Zum ersten Mal klang so etwas wie Panik aus Patricks Stimme.
»Ich gehe runter und stelle einiges klar. Mir ist egal, ob du mitkommst oder nicht.«
»Das wirst du nicht tun!« Rica konnte hastige Schritte hören, dann fiel irgendwas mit einem Knall zu Boden. Im nächsten Moment brach draußen offensichtlich eine Prügelei los.
Rica war so überrascht, dass sie beinah diesen idealen Moment zur Flucht verpasst hätte. Völlig fasziniert hatte sie dem Gespräch der beiden Männer gelauscht. Aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem Patrick ganz sicher ausreichend abgelenkt war.
Rica sprang vom Klodeckel, und stieß die Badezimmertür auf. Polternd fiel der Stuhl um, aber tatsächlich schien niemand darauf zu achten. Sie schickte nur einen kurzen Blick durch den Raum, um sich über die Lage im Klaren zu werden. In der Nähe der Eingangstür rangen zwei Männer miteinander. Ricas Herz schlug ein wenig schneller, und sie ertappte sich dabei, tatsächlich ein bisschen Angst um diesen Unbekannten zu haben, der ihr Vater war. Dann fiel ihr Blick auf etwas Glänzendes, das unweit der Kämpfenden auf dem Boden lag.
Es war Patricks Pistole.
Ohne weiter darüber nachzudenken, hechtete Rica einmal quer durch den Raum, stolperte, schlitterte ein kleines Stück und bückte sich nach der Waffe. Sie war überrascht, wie schwer das kleine Ding sich in ihrer Hand anfühlte, und fast hätte sie es instinktiv wieder fallen gelassen. Stattdessen sprang sie ein Stück zurück und starrte die Pistole an. Ihr wurde bewusst, dass sie trotz all der Actionfilme, die sie in ihrem Leben gesehen hatte, keine Ahnung hatte, wie man so eine Waffe benutzte. Man musste die Dinger irgendwie entsichern, oder nicht? Wie funktionierte das? Und woran konnte man sehen, ob sie nicht schon entsichert war?
Abfeuern, sagte eine leise, gemeine Stimme in ihrem Kopf. Irgendwen Schuldigen wirst du schon treffen. Dein Vater ist schließlich auch kein Unschuldslamm.
Rica schauderte vor sich selbst und wollte die Pistole schon einfach in ihren Hosenbund schieben, als ihr einfiel, dass diese Idee vielleicht auch nicht gerade brillant war, wenn sie nicht wusste, ob das Ding entsichert war. Du wirst dir noch in den Fuß schießen, Rica. Warum hast du das Scheißteil eigentlich aufgehoben? Aber irgendwie fühlte sie sich jetzt doch ein bisschen weniger schutzlos.
Die beiden Männer schienen sie bisher nicht einmal bemerkt zu haben. Rica umklammerte die Pistole mit der rechten Hand und machte sich daran, in Richtung Tür zu schleichen. Genau in diesem Moment riss sich ihr Vater von Patrick los und drehte sich zur Tür um.
Als er Rica mit der Pistole in der Hand sah, erstarrte er. »Rica, was …« Die Verblüffung auf seinem Gesicht wäre komisch gewesen, wenn Rica nicht sowieso schon
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