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Optimum - Kalte Spuren

Optimum - Kalte Spuren

Titel: Optimum - Kalte Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Bicker
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Stück dunkelgrauem Himmel. Die Luft war so kalt, dass sie ins Gesicht biss, und Rica merkte, wie ihr Parka langsam durchweichte. Sie wünschte sich, sie hätte ihren Skianorak gefunden.
    Der Anstieg verlief schweigend. Niemand hatte große Lust auf eine Unterhaltung, und sie brauchten ihren Atem dringender als zum Reden. Dann, kurz bevor sie die Hütte erreichten, hörten sie den Schrei.
    Ein durchdringendes Kreischen schnitt durch die Winterluft. Es war so schrill, so angsterfüllt, so erbärmlich, dass es Rica direkt in die Knochen fuhr. Sie zuckte zusammen, und der Impuls, sich einfach zur Flucht umzuwenden, war überwältigend. Sie musste sich an Elizas Jackenärmel festklammern, um nicht zu stürzen.
    »Was war denn das ?« Saskia war totenbleich geworden und zitterte so stark, dass es ein Wunder war, dass sie nicht zusammenbrach. Sie hatte eine Hand auf ihren Bauch gepresst, als habe sie Schmerzen.
    »Das war bestimmt nur der Todesschrei von irgendeinem Tier « , versuchte Frau Friebe sie zu beruhigen. Allerdings war sie selbst ziemlich bleich geworden, und in ihren Augen stand Nervosität.
    In diesem Moment wiederholte sich der Schrei. Noch schriller, noch ängstlicher. Todesschrei passt schon, dachte Rica. Ich kann nur hoffen, dass es wirklich ein Tier ist. Sie versuchte verzweifelt, durch das Schneetreiben etwas zu erkennen, aber das war vergeblich. Man konnte nicht einmal sagen, woher der Schrei gekommen sein konnte, jede Richtung sah gleich aus.
    »Ich gehe nachsehen « , verkündete Herr Röhling. »Ihr bleibt hier .«
    »Was? Sind Sie verrückt ?« Eliza wurde noch blasser. »Sollten wir nicht so schnell wie möglich zur Hütte zurückgehen? Wer weiß, was das für Raubtiere sind, vielleicht gibt es hier Bären .«
    »Und Tiger und Löwen « , scherzte Herr Röhling. Rica hätte ihm am liebsten eine runtergehauen. Das war doch nun wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für Witze. »Keine Angst, in diesen Bergen gibt es nichts Schlimmeres als Füchse und Eulen. Wahrscheinlich ist ein Kaninchen gerissen worden, es würde euch überraschen, zu erfahren, wie laut die schreien können .« Damit schlug er den Kragen seines Anoraks hoch und stapfte wohlgemut in den Schnee hinein, bevor ihm noch jemand widersprechen konnte. Die Schüler blieben mit der verunsicherten Frau Friebe, den nervösen Pferden und dem alten Mann zurück, der so tat, als ginge ihn das alles nicht das Geringste an. Rica beneidete ihn um seine Seelenruhe.
    Schnee. Mehr Schnee. Es schien auf der Welt nichts mehr zu geben außer ihnen selbst und dem Schnee, der durch ein ewiges Grau fiel. Nachdem der Schrei verstummt war, war jetzt auch kein Geräusch mehr zu hören, alles war gedämpft, verschluckt, von der Welt gewischt. Rica merkte, dass ihr Tränen die Wange hinunterliefen, aber sie wusste nicht, ob das an dem beißenden Wind lag oder an ihrer Angst.
    Denn sie hatte Angst. Sie zitterte am ganzen Körper, und ihr Herz raste wie verrückt. Bisher hatte sie erst einmal in ihrem Leben eine solche Angst gehabt, und sie hatte gehofft, nicht wieder in so eine Situation zu geraten. Aber das war wohl Wunschdenken gewesen.
    Was hatte da so geschrien? Wirklich ein Tier? Es hatte nicht wie ein Tier geklungen. War der Mann von gestern Abend noch in der Gegend? Hatte er noch einen Hund umgebracht? Rica musste an das lange Messer denken und begann, noch mehr zu zittern.
    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, und Rica zuckte zusammen. Doch im nächsten Moment wurde ihr klar, dass es nur Robin war, der sie beruhigen wollte. »Es war bestimmt nur ein Tier « , murmelte er und zog Rica zu sich heran. Sie verbarg ihr Gesicht an seinem Skianorak und versuchte, einfach alle Geräusche und Bilder von der Welt um sie herum auszublenden. Sie atmete tief und ruhig und merkte, wie sich ihr Herzschlag allmählich beruhigte.
    Diesen Moment wählte das Tier, oder was auch immer es war, um zum dritten Mal zu schreien. Dieses Mal klang es so schrill und endgültig, dass niemand einen Zweifel daran hegen konnte, dass es nun vorbei war. Einige Augenblicke standen sie alle nur stumm da, dann tauchte Herr Röhling so plötzlich wieder aus dem Schneetreiben auf, dass Rica zusammenzuckte.
    »Ich konnte nichts finden « , meinte er schlicht. »Lasst uns gehen. Ich werde morgen bei Tageslicht mal nach dem Rechten sehen, wenn es euch so beunruhigt .«
    Eliza und Saskia nickten erleichtert, aber Rica hatte das Gefühl, sich nicht mehr rühren zu können, geschweige denn etwas

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