Optimum - Kalte Spuren

tat ihr gut, aber ihre Gedanken schlugen noch immer Purzelbäume. Nach Hause. Wir fahren nach Hause.
    Nur dass es nicht ihr Zuhause war. Im Grunde wusste Rica gar nicht mehr, wohin sie gehörte. Die Daniel-Nathans-Akademie war es jedenfalls nicht. Jetzt noch weniger als zuvor.
    »Woran denkst du?« Robins Stimme war so dicht neben ihrem Ohr, dass sein Atem sie im Nacken kitzelte.
    »An dich«, erwiderte sie leichthin.
    »Lügnerin.« Aber seine Stimme klang eher fröhlich als vorwurfsvoll.
    Rica seufzte. »Ich werde das alles nie entwirren können.« Draußen vor dem Fenster flog ein tief verschneiter Wald vorbei. Ein paar Rehe schreckten auf, als der Bus an ihnen vorbeizog, und flüchteten zwischen die Bäume.
    »Doch. Du kannst das.« Robins Stimme war ruhig und sicher. »Wenn es jemand kann, dann du.«
    Rica wünschte sich, auch nur einen Bruchteil seiner Sicherheit zu besitzen. Sie wandte ihm endlich das Gesicht zu und lächelte vorsichtig. Er strahlte zurück, und ihr Herz wurde ein wenig leichter.
    »Danke«, flüsterte sie.
    Danach herrschte eine ganze Weile Schweigen. Sie waren nicht die Einzigen im Bus, die ihren Gedanken nachhingen. Die meisten Schüler wirkten immer noch ziemlich niedergeschlagen von allem, was passiert war. Vielleicht auch von ihrem eigenen Verhalten. Sie schämten sich, das war Rica klar. Und sie ahnten, dass sie manipuliert worden waren, nur nicht wie und von wem. Zwar war nichts Schlimmeres passiert – Herr Röhling würde wieder in Ordnung kommen und Frau Friebe auch –, aber ihnen allen war klar, dass sie damit mehr Glück als Verstand gehabt hatten.
    »Was wird aus Simon?«, wollte Rica wissen.
    Robin verzog das Gesicht. »Wir haben noch eine Woche frei, und meine Eltern wollen ohnehin, dass ich nach Hause komme. Ich werde mit ihm reden. Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Polizei auf die Geschichte von nur einem Täter hereingefallen ist.«
    Rica zuckte mit den Schultern. Die Polizei glaubt anscheinend alles, was mein Vater ihnen erzählt hat, dachte sie. Dieser Gedanke beunruhigte sie, aber das teilte sie Robin nicht mit. Damit musste sie erst einmal selbst fertigwerden.
    »Kann ich mitkommen?«, fragte sie stattdessen.
    Robin schenkte ihr einen verwunderten Blick. »Was, zu mir nach Hause?«
    Rica grinste ihn an. »Klar. Warum nicht? Ma hat sicher nichts dagegen.« Wenn ich erst mal eine Stunde mit ihr rumgestritten habe.
    Robin sah einen Moment lang fast ein bisschen erschrocken aus. Dann begann er zu strahlen. »Ja, klar. Das geht bestimmt.« Sein Lächeln war ansteckend. Rica merkte, wie sich ihre Laune merklich besserte. Sie beugte sich über die Armlehne zu Robin hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze.
    Ich habe mir auch ein bisschen Urlaub verdient, dachte sie.

Über die Autorin

    © W. Jünger
    Veronika Bicker, 1978 in Karlsruhe geboren, entdeckte schon während ihrer Schulzeit, wie viel Spaß es ihr macht, spannende Ideen auszutüfteln und diese in Worte zu fassen. In ihrer Studienzeit veröffentlichte sie bereits mehrere Kurzgeschichten in Anthologien und widmet sich heute nun ausschließlich dem Schreiben und ihren Büchern.

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    Dieses Werk wurde vermittelt durch
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    Satz und eBook: Greiner & Reichel. Köln
    ISBN 978-3-86396-540-2
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