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Opus 01 - Das verbotene Buch

Titel: Opus 01 - Das verbotene Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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düsteren Hinterhof, der mit kaputten Karren, Leitern und sonstigem Trödelkram vollgestellt war.
    Eine halbe Ewigkeit lang lief und kletterte er zwischen dem Gerümpel umher, ohne eine Spur von dem Mädchen zu finden. Er war wütend, müde und halb verdurstet. Ein paar Mal rief er noch nach ihr, dann suchte er nur noch stumm und verbissen weiter. Kronus hatte ihm vertraut, doch er war wie ein Trottel in die Falle getappt. Wenn er das Mädchen nicht aufspürte, den Brief zurückbekam und zur vereinbarten Stunde überbrachte, würde der alte Mann ihm niemals mehr einen Auftrag geben. Anstatt die magischen Kräfte zu erlangen, die man durch
Das Buch der Geister
bekam, müsste er fortan mit Onkel Heribert, Hauptmann Höttsche und den anderen Männern losziehen – auf der Landstraße arglose Reisende überfallen oder hinter der Grenze gegen die Böhmischen kämpfen.
    Am meisten aber verdross Amos, dass er einfach nicht verstand, was hier überhaupt vorging. Wer außer Onkel Heribert konnte denn wissen, dass Kronus ihn mit dem Brief nach Nürnberg gesandt hatte? Natürlich abgesehen von dem alten Gelehrtenselbst – aber der konnte nun wirklich kein Interesse daran haben, dass sein eigener Bote beraubt wurde.
    Halb verborgen hinter Stapeln von zerbrochenen Deichseln und Leitern entdeckte Amos schließlich einen Ziehbrunnen. Auf dem zerbröckelnden Sims saß das Mädchen und sah ihm ruhig, mit einem abwartenden Lächeln, entgegen. Neben ihr lag der Briefumschlag – ein leiser Windstoß würde genügen, um das Kuvert auf Nimmerwiedersehen im Brunnen zu versenken.
    Mit einem Satz war Amos bei ihr und raffte den Umschlag an sich. Seine Wangen glühten wie Feuer – von der Sonnenhitze, von all der Aufregung, vor allem aber vor Zorn. »Warum hast du das gemacht?«, schrie er das Mädchen an.
    Ihr Lächeln wurde zum Grinsen. »Was denn gemacht?«
    Er fasste sie bei der Schulter, schüttelte sie wütend hin und her. An einem Lederriemchen trug sie um den Hals ein Amulett, das über ihrer Brust wild auf- und absprang – ein Dreieck, aus Draht gebogen, mit einem blauen Stein darin, der seiner Form und Farbe wegen Augenstein hieß. »Wer hat dir gesagt«, schrie er, »dass du mir den Umschlag klauen sollst?«
    Da wurde Amos von hinten gepackt und herumgerissen. Vor ihm stand ein noch junger Mann von bärenhafter Gestalt, in der braunen Kutte eines Bettelmönchs. Grimmig schaute er Amos an und in seinen Augen funkelte der Spott. »Weißt du nicht, wie man sich benimmt, Kerl?«
    »Aber sie hat …«, begann Amos und biss sich auf die Zunge.
    »Sie hat was ?«, fragte der Mönch.
    Amos schüttelte nur den Kopf. Der Mönch sah ja harmlos aus und steckte mit dem diebischen Mädchen bestimmt nicht unter einer Decke. Trotzdem musste Amos auch ihm gegenüber Stillschweigen bewahren. Das hatte er Kronus versprochen, und natürlich könnte auch der Mann mit der Kutte ihm nicht erklären, warum andauernd irgendjemand versuchte, ihm den Briefumschlag abzujagen.
    »Du verschwindest jetzt besser«, sagte der Mönch in energischem Tonfall.
    Amos nickte. Als er sich umwandte, war von dem Mädchen nichts mehr zu sehen. Das erstaunte ihn nicht allzu sehr – schließlich musste sie darin geübt sein, sich unbemerkt davonzustehlen. Und bei all dem Gerümpel, das sich in diesem Hof stapelte, war es sowieso keine Kunst, sich von einem Moment zum nächsten unsichtbar zu machen.
    Trotzdem blieb ihm ein seltsames Gefühl zurück – so als ob das Mädchen ein Geist gewesen wäre, ein Trugbild, das ihm nur vorgegaukelt worden war. Doch diesen Gedanken hatte Amos schon Augenblicke später vergessen. Wieder erklangen von überall her die Stundenglocken, und mit wachsendem Entsetzen zählte er mit: drei volle und danach drei leisere Schläge – Viertel vor vier.
    »Gütiger Gott, lass es nicht zu«, murmelte er. Nur noch eine Viertelstunde lang würde jener Hebedank am Hinterausgang der Druckerei Koberger auf ihn warten – und er, Amos, hatte die Druckerei noch nicht einmal gefunden, sondern war stattdessen in Seitengassen und Hinterhöfen herumgeirrt.
    Ohne sich länger um den Mönch oder das Mädchen zu kümmern, schob Amos den Umschlag unter sein Wams zurück und rannte aufs Neue los. Aus dem Hinterhof wieder hinaus, durch die finstere Gasse zurück und auf der breiten Straße weiter aufwärts. Endlos zog sich die Straße den Hügel hinauf, immer wieder blieb er in Menschentrauben stecken, musste Reitern ausweichen oder Kutschen vorüberdonnern

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