Opus 01 - Das verbotene Buch
Sonnenlicht waren elend knapp. Der Schweißgestank von tausend Menschenleibern mischte sich mit köstlich fremden Gerüchen, die aus Backstuben und Wirtshäusern drangen. Alle Fenster und Türen standen weit offen, und in den ebenerdigen Werkstätten wurde ohrenbetäubend gehämmert und gesägt. Währenddessen sangen oben in den Kammern die Dienstmädchen, und unten vor den Haustüren gackertenHühner, bellten Hunde, spielten Kinder im Schmutz. Von einem Kirchturm in der Nähe erschallte die Stundenglocke – zwölf Uhr. So blieben ihm immerhin drei Stunden, um sich in der Stadt zurechtzufinden und die Druckerei Koberger am Egidienplatz aufzuspüren, wo jener Setzer Hebedank auf ihn warten würde. Kronus’ Briefumschlag und seinen Geldbeutel hielt Amos mit beiden Armen an sich gepresst. Der Schweiß lief ihm in Stirn und Nacken, seine Wangen glühten. Doch trotz der Sommerhitze wagte er nicht, sein Wams auszuziehen, das seine Habseligkeiten vor den Blicken von Straßenjungen und anderen verdächtigen Gestalten verbarg.
Von denen gab es hier mehr als genug. Ein paar Mal hatte Amos schon beobachtet, wie Taschendiebe und sonstiges Gesindel arglose Landleute gerupft hatten. Einer rempelte das ausersehene Opfer an, ein Zweiter machte sich die Verwirrung des armen Teufels zunutze und leerte ihm blitzschnell die Taschen. So leicht würde er sich nicht übertölpeln lassen, dachte Amos – doch der Kopf brummte ihm schon von dem Wirrwarr um ihn her, und seine Arme begannen wehzutun, so angestrengt drückte er sie gegen Brief und Beutel unter seinem Wams.
An einem Brunnen blieb er stehen, hielt seinen Kopf unter den kühlen Strahl und trank gierig einige Mundvoll Wasser. Es schmeckte eisern und zugleich ein wenig faulig – die reinste Kloake, verglichen mit dem klaren Nass des Gründleinsbachs. Trotzdem fühlte er sich etwas frischer, als er mit tropfenden Haaren weiterging. Zumindest führte diese Gasse bergauf, und da die Druckerei unter der fürstlichen Burg liegen sollte, im höchsten und ältesten Teil der Stadt, konnte dieser Weg nicht ganz falsch sein.
An einer Hausecke stand ein kleiner Junge, vielleicht acht, neun Jahre alt, mit einem Stapel bedruckter Blätter in der Hand. Jedem Passanten reichte er einen Zettel, und die meisten nahmen das Blatt auch bereitwillig entgegen. Dennoch schaute Amos argwöhnisch nach links und rechts, ehe er seinen Zettel in Empfangnahm. Er begann doch wirklich schon Gespenster zu sehen! Als ob der kleine Junge mitsamt seinen Flugschriften hier nur deshalb Posten bezogen hätte, um ihn zu täuschen, abzulenken, ihm den Brief abzujagen.
Der Flugzettel war mit Schmähreimen gegen den Fürstbischof von Bamberg bedruckt. Georg III. sei der leibhaftige Teufel, hieß es dort, und den Bischofshut trage er nur aus einem Grund auf dem Kopf: um seine Satanshörner zu verbergen. Aber nicht mehr lange, dann werde der Messias wiederkehren und alle Sünder und Lasterhaften in die Hölle hinabschleudern, wie es bereits in der Bibel geschrieben stehe.
Amos las die Verse, während er langsam weiterging. Ihr derber Witz gefiel ihm so gut, dass er kaum merkte, wie er Passanten anrempelte und von anderen gerempelt wurde. Von seinem siebten bis zum elften Lebensjahr hatte er die Lateinschule besucht und konnte daher einigermaßen fließend lesen und schreiben. Doch von all den Büchern und Schriftrollen in Kronus’ Bibliothek hätte er nur einen winzigen Bruchteil entziffern können – die meisten von ihnen waren in fremden Sprachen wie Griechisch, Arabisch oder sogar Aramäisch verfasst. Und die Autoren, die auf Deutsch oder Lateinisch schrieben, bedienten sich einer verwickelten, verschlüsselten Sprache, sodass Amos zwar einzelne Wörter lesen konnte, die Bedeutung des Ganzen aber rätselhaft blieb.
Dagegen waren die Schmähverse auf dem Flugzettel nur allzu leicht zu verstehen. Immer zu Ostern, hieß es dort, lasse sich der Bischof nach Satansbrauch einen schwarzen Wolfshund schlachten und verzehre ihn genüsslich anstelle des Osterlamms. Und der Weihrauch, der die Gläubigen während der Heiligen Messe beneble, bestehe aus den Dämpfen, die Seine Heiligkeit auf der Kanzel unterhalb des Gürtels entweichen lasse.
Amos musste losprusten – und verschluckte sich fast an seinem Lachen, als er von dem Flugzettel aufsah: Drei Schritte vor ihm stand eine Amtsperson, allem Anschein nach ein Stadtknecht oder Büttel. Es war ein groß gewachsener Mann mit feuerrotemVollbart, dessen gewaltiger Brustkorb
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