Orangenmond
Liebe«, rief die kleine Dame, als sie Eva mit dem Koffer am unteren Trep penabsatz sah. Ihr Lidschatten leuchtete wie hellblaue Tafel kreide auf ihrem zarten Gesicht.
» Tanti auguri!«, rief Eva zurück. »Ich weiß, der Geburtstag war gestern, aber…«
»Grazie! Grazie! Vieni, vieni nel salotto!«
Elio Rubinio, der berühmte Schauspieler, saß im salotto ganz alleine am Tisch, graue Jogginghose, die Füße in weißen Socken mit zartgrau schmutziger Sohle um die Beine des Stuhls gewunden, die coolen Markenturnschuhe lagen daneben.
»Er ist gekommen, er ist tatsächlich gekommen!« Die kleine Frau umarmte ihn, drückte seinen Kopf an ihre magere Brust, noch immer außer sich über seine Gegenwart.
»Mamma!« Elio stand auf und gab Eva die Hand. »Entschuldige bitte meinen Aufzug, aber ich bin hier zu Hause.« Er schaute ihr ins Gesicht. »Meine Mutter hat mir von dir erzählt! Es tut mir so leid um Milena. Sie war eine fantastische Frau und eine fantastische Schauspielerin, gibt nicht viele wie sie.« Er hielt immer noch ihre Hand.
Evas Augen tasteten ihn ebenso ab – Auge, Auge, Mund, Nase, Stirn –, so einfach wie auf dem Kinderfoto war Emil in Elios vierzigjährigem Gesicht nicht zu entdecken. Die letzten zehn Jahre hatten Elio nicht geschadet, im Gegenteil, er war einer dieser Männer, die vom Alter profitierten. Sein Gesicht war schmaler geworden, härter, die Augen immer noch hell, die Nase lang und markant, ein schöner Mann, selbst in Jogginghose.
Eva überlegte, wie sie beginnen sollte, doch Elio verstand ihren Blick offenbar: »Gehen wir raus? Einen caffè trinken?«
»Bleibt doch, einen caffè mache ich euch schnell!«
»Mamma!«
»Ich habe etwas für dich, was ich dir wiedergeben muss«, sagte Eva leise. Doch Elio senkte seine Stimme keineswegs für seine Antwort:
»Wiedergeben? Hat Mamma dir meine Kinderkrawatten gezeigt? Das macht sie immer. Und du hast dir eine mitgenommen? Stibitzt? Behalte sie. Ich habe noch genug davon, befürchte ich …«
»Danke, das ist sehr großzügig, aber ich fühle mich besser, wenn ich sie dir zurückgebe. Schläfst du etwa auch in deinem alten Zimmer?«
»Ja, natürlich. Einmal an Mammas Geburtstag, einmal an Weihnachten.«
»Könnten wir da nicht …?«
»Was?«
»Die Übergabe …«, murmelte sie.
»In meinem Zimmer? Bei geschlossener Tür!? Nicht mit meiner Mutter!«
Er stand auf und strich grinsend sein T-Shirt von Dolc e &Gabbana glatt, zeigte auf seine Hosen. Eva nickte dankbar, er würde sich eben umziehen.
»Okay. Mamma, wir kommen gleich wieder, sie …?«
»Eva!«
»Eva nimmt das Zimmer für …?«
»Für zwei Nächte.«
»Für zwei Nächte. Ruf Matteo an, damit er das in seinen Plan einträgt. Nicht vergessen, hörst du? Mamma?«
Im Hausflur lagen zwei Helme, er gab ihr einen. »In die Bar zu gehen ist schwierig, die Einheimischen lassen mich zwar in Ruhe, aber ich bin nun mal bekannt. Dann noch die Sache mit der Moretti, also Elisabetta …«
»Verstehe.«
»Nur eine Kollegin, die sich bei mir ausheult, aber die Presse will unbedingt etwas darüber schreiben, und dann schreibt sie eben!«
In der Gasse schwang er sich auf das Motorrad. »Wir fahren zum Meer, ich kenne eine Stelle, wo niemand ist, da können wir ein bisschen über Milena reden.«
»Ich habe nicht viel Zeit!«
»Es ist nicht weit!«
Eva klammerte sich mit Oberschenkeln und Armen an ihn, als er mit ihr durch die engen Gassen preschte.
In den kleinen Buchten zwischen Torre Santa Sabina und Torre Canne war wirklich kaum jemand. Nur zwei Autos standen auf dem felsigen Untergrund, den die Buchten ein schlossen. Etwas weiter entfernt sah man einen Wachturm – ein kompakter Würfel ohne Fenster und Türen, wie es schien. Elio stellte das Motorrad auf einer ebenen Stelle ab, zog eine Packung Zigaretten hervor und setzte sich in den Sand. »Was willst du wissen?«
»Ach, ich versuche gerade, meine Schwester neu zu entdecken, neu zu verstehen. Wie war sie so für dich? Wart ihr Freunde?«
»Freunde?« Er zeigte entrüstet auf seine Brust. »Ein Mann und eine schöne Frau!?« Er lachte. »Scherz. Während der Dreharbeiten haben wir uns wirklich gut verstanden, ungewöhnlich viel geredet und so. Mache ich mit Frauen sonst weniger. Sie wusste genau, was sie wollte, und konnte das gegenüber Reza, dem Regisseur, und auch dem Kameramann durchsetzen. Nach fast zwei Monaten in einem kleinen Dörfchen in der Nähe von Rom war Positano unser letzter Drehort.« Er atmete den
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