Orangenmond
Stämmen der Olivenbäume ab. Ob er in einen hineingeklettert war und jetzt irgendwo stumm in einer Astgabel hockte?
Was will er überhaupt?, dachte Eva. Ist er tatsächlich alleine losgegangen? Der Katze hinterher, einem Hund? Was kann dieser Junge im Kopf haben? Es war ihm langweilig, er wollte nicht alleine sein, draußen wurde gestrit ten, sein Papa benahm sich seit ein paar Tagen seltsam. O ja, Emil, das fand ich auch!
Sie teilte das hohe Unkraut. Kletten und trockene Haferspelzen hefteten sich an ihre schwarze Hose. Emil, Emil, Emil – versetz dich in ihn hinein, wovon hat er geredet, was will er unbedingt?
Den Marder! Er will den Marder beerdigen, er sucht das Grab, nein, er hat es schon gefunden! Sie rannte zurück in Richtung Zisterne. Am ersten Abend hatte sie Georg dort mit einer Schaufel gesehen, er war bestimmt nicht weit gegangen, um das kleine vertrocknete Viech zu vergraben. Sie fand aufgewühlte Erde, das Grab war leer. Wilde Tiere? Nein, Emil hatte die Stelle entdeckt und den Marder exhumiert, um ihn zu der Schlange und den beiden Eidechsen zu bet ten, die er an dem Tag, als die Zisterne sauber gemacht worden war, von Franco bekommen hatte. Sein Blick war schuldig gewesen, jetzt im Nachhinein konnte Eva ihn plötzlich deuten.
Sie fand ihn in der hintersten Ecke des Grundstücks, kurz vor dem Zaun. Unter einem besonders ausladenden alten Baum saß er mit einer kleinen Schaufel und klopfte mit sanften Bewegungen einen Hügel platt.
»Eigentlich schön, so ein Grab«, sagte er, als er Eva sah.
»Jetzt haben wir schon einen richtigen kleinen Friedhof, was?«, antwortete sie.
»Ja. Jedenfalls haben sie alle eine gute Beerdigung bekommen.« Emil nickte zufrieden.
»Ich muss Georg Bescheid sagen, er sucht dich draußen!«
»Er will immer, dass ich nicht krank werde. Ich kann ihm tausend Mal sagen, ich werde nicht krank! Meinst du, das hat was mit Mama zu tun?«
Eva nickte.
»Ich werde ihm das noch mal erklären, aber nur noch ein Mal!«
»Könnte mir vorstellen, dass er es dann endgültig versteht! Bist du fertig? Wollen wir gehen? Georg und Helga machen sich totale Sorgen!«
Emil nahm die Schippe und erhob sich, langsam liefen sie nebeneinanderher.
»Neulich hätte ich noch ein Tier für dich gehabt, Emil. Beim Duschen bin ich auf eine winzig kleine Eidechse getreten, die war so niedlich!«
»Und?« Seine Augen weiteten sich interessiert.
»Ich war ganz traurig, als ich sie so platt von meiner nassen Fußsohle geklaubt habe, doch plötzlich bewegte sie sich wieder, schaute mich an, und ich schwöre dir: Sie sah aus, als ob sie lachte. Dann sprang sie aus meiner Hand und flitzte davon!«
»Sie war nicht tot?«
»Sie war lebendig! Aber so was von.«
3 1
Am nächsten Morgen wurde Eva von Georg und Emil zum Bahnhof nach Ostuni gebracht. Es war heiß, über dreißig Grad, sie standen im Schatten der Säulen am Bahn steig herum, offenbar immer noch unfähig, etwas ande res als Banalitäten oder sachdienliche Hinweise auszutauschen.
»Und sieh zu, dass du noch einen ordentlichen Makler erwischst.«
»Vielleicht kommt ja der von Immoworld heute.«
»Ich überweise Mimmos Tochter das Geld für den Strom von Hamburg aus, dann musst du dich nicht hier bei der Post in die Schlange stellen.«
»Flieg vorsichtig!«
»Grüßt Helga von mir!«
Emil hatte Eva ein Geschenk gebastelt, das sie aber erst im Zug aufmachen durfte. Sie nahm die Plastiktüte entgegen, in der sich offenbar etwas sehr Leichtes befand, umarmte ihn und küsste zum Abschied seine beiden Wangen, was er, ohne zu murren, über sich ergehen ließ. Er drückte sie sogar kurz zurück.
Georg umarmte sie lange, ohne ein Wort, nur ganz zum Schluss flüsterte er: »Lass mir Zeit!«
Sie lachte ihm nur ins Gesicht. So viel du brauchst, Georg, dachte sie, ich will dich nicht mehr, du hast alle Zeit der Welt, wofür auch immer.
Schon als der Zug in Torre Canne hielt, öffnete sie Emils Tüte. Hervor kamen zwei selbst gefaltete Schachteln aus knallrotem Papier, die er aneinandergeklebt und mit einem Deckel aus Pappe versehen hatte. Rundherum waren mit Filz stift große Fenster aufgemalt, vorn stand ein kleiner Junge mit langen Haaren und Baseballkappe, hinten saß eine Frau mit Sonnenbrille und Hut. »Minimetro Perugia« stand unten links am Waggon.
Eva lächelte und wartete auf Tränen. Doch sie kamen nicht. Auch kurz nach Polignano a Mare nicht, als sie die abgeschliffenen Trulli inmitten der roten Erde wiedersah. Na und?
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