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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dos Passos
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Trommeln und das Stampfen der Füße und der rauhe Triumphschrei «Hassan, Hossein».
    Sind diese Götter denn so tot?

4. Bahai
     
    Die drei Amerikanerinnen waren Bahai-Missionarinnen, eine aus New York, eine aus Chicago, und die jüngste vielleicht aus einem Städtchen in den Dakotas. Alle hatten die gleichen Augen, weit auseinanderstehend, starr, mit geweiteten Pupillen. Wir saßen in einem langen, dunklen, europäisch eingerichteten Zimmer und sahen einander steif an. Die Älteste berichtete von der Verfolgung ihrer Glaubensgenossen in Persien seit El Babs 22 Märtyrertod in Täbris. Dass sie nicht begraben werden und nicht zusammenkommen dürften und dass viele ihren Glauben verheimlichten. Sie hatte müdes graues Haar, das ihr in die Stirn hing, graue welke Lippen und ein Gesicht voller müder Fältchen. Die Presbyterianer in dem großen Missionsgebäude am anderen Ende der Stadt sprächen nicht mit ihnen, weil sie keine Christen seien. «Sie wissen nicht, dass die Verehrung unseres Herrn Baha’ullah auch die Verehrung Christi einschließt, der ebenfalls ein großer Prophet und die Emanation Gottes war.»
    Die zweite Frau war Ärztin. Ihr Gesicht war fest und schmal, und sie war adrett gekleidet. Sie sprach von dem Leid der Frauen, von ihrer Unwissenheit, ihrem Dahinwelken in der überzuckerten Abgeschiedenheit des Andarun 23 , ihren Krankheiten und den Problemen der Gebärenden.
    Die jüngste war erst seit kurzem in Teheran. Ihr Bericht war voller Wunder. Sie war im Winter von der Küste her gekommen. Man hatte ihr gesagt, dass eine solche Reise den sicheren Tod bedeute. Aber der Tod hat keine Macht über die Diener des immerwährenden Lichts. Sie war ganz allein über einen hohen verschneiten Pass gekommen, über den sich im Winter nicht einmal die Kurden wagen; als sie zu einem Fluss kam, ging das Hochwasser zurück; alle anderen Reisenden, die auf diesem Weg unterwegs waren, wurden von Banditen getötet, nur sie nicht: bei jedem Schritt habe sie die Hand Gottes gespürt, der ihr Maultier sicher führte und sie vor den Absichten böser Männer schützte.
    Es war dunkel geworden, als ich mich von ihnen verabschiedete. Draußen kam ein Prozessionszug vorbei, erst ein paar Männer, die als berittene Araber verkleidet waren, dann Reisende auf buntgeschmückten Kamelen, dann Männer mit schweren vielarmigen Messingleuchtern und einer Metallstandarte, die wie ein großer Krummsäbel aussah, oben an der Spitze eine Messingquaste, die im Licht aufblitzte, und schließlich Büßer in Viererreihen, die sich rhythmisch an die Brust schlugen, hochgewachsene dunkelhäutige Männer mit geröteten Augen, die sich zu dem verzweifelten erregten Ruf «Hossein, Hassan» rhythmisch an die Brust schlugen.
    Dies war das dumpfe Geräusch gewesen, das ich in der Ferne gehört hatte, das mich unruhig gemacht hatte während des Gesprächs mit den Missionarinnen, die von der Sanftheit und Toleranz der Bahais erzählten und von brüderlicher Liebe. In meinem Hotelzimmer, wo ich Euripides in einer alten und schlechten französischen Übersetzung las, konnte ich immer noch das Stampfen hören, das, bald aus der einen, bald aus der anderen Richtung, durch den stauberfüllten Herbstabend drang, den Zug der Trauernden, die Hosseins Karawane folgten und sich an die Brust schlugen.

5. Hossein
     
    Hossein, Sohn von Fatima und Ali und Enkel des Propheten, begab sich von Medina nach Kufa, der Stadt der ersten Ärzte des Islam, wo sein Vater Ali, Herr über alle Welt, ermordet worden war. Yazid, Kalif in Damaskus, wollte Hossein vergiften, so wie er dessen nichtsnutzigen Bruder Hassan vergiftet hatte. Die Leute von Kufa hatten dem einzigen noch lebenden Enkel von Mohammed angetragen, ihr Kalif zu sein. Am ersten Tag des Moharram kam der Karawane von Imam Hossein aus Kufa ein gewisser Hurr entgegen, der im Auftrag des Kalifen verkünden sollte, dass Yazid der Herrscher von Kufa sei und dass Hosseins Anhänger getötet worden seien. Hossein hatte sich mit einigen Sklaven, seiner Schwester, seinen Frauen und Kindern auf die Reise begeben. Eine seiner Frauen war eine Perserin, die Tochter des letzten Sassanidenkönigs. Hurr, der sich seines Auftrags bereits schämte, kehrte nach Kufa zurück und bat darum, dem Imam die Rückkehr nach Medina zu erlauben. Hosseins Gruppe reiste bei Nacht, denn es war sehr heiß. Hossein sagte: «Ein Mann reist bei Nacht, und seine Bestimmung reist ihm entgegen. Ich bin sicher, es war eine Todesahnung.»
    Die

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