Orient-Express (German Edition)
Verhandlungen gingen in arabischer Manier hin und her, bis Hosseins Karawane am neunten Tag schließlich bei Kerbela, einer Ortschaft am Euphrat, ihre Zelte aufschlug. Die Armee von Amr ibn Saad kreiste sie ein, denn Yazid hatte Befehl gegeben, die Männer zu töten und die Frauen nach Damaskus zu schaffen. Im letzten Moment kamen Hurr und seine Männer in das Lager, um mit dem Imam zu sterben. In dieser Nacht befestigten sie ihre Zelte und zogen einen Graben mit Reisigbündeln, so dass ein Angriff nur von vorn möglich war. Hossein bereute bitterlich, dass er die Kinder und Frauen mitgenommen hatte, denn es gab kein Wasser.
Am Morgen griff Amr ibn Saad an. Hossein und seine Leute waren hoffnungslos in der Minderzahl. Gegen Mittag setzte sich Hossein, vom Kampf erschöpft, einen Moment neben sein Zelt und nahm seinen jüngsten Sohn Abdullah auf den Schoß. Ein Pfeil tötete das Kind. Der Durst wurde immer unerträglicher. Ali Afgar und Ali Asgar, die beiden halbwüchsigen Söhne Hosseins, liefen zum Fluss, um Wasser zu holen. Auch sie wurden von Pfeilen getroffen. Schließlich ging Hossein selbst zum Fluss. Die Soldaten des Kalifen wagten es zunächst nicht, ihn anzugreifen, doch als er sich herabbeugte, um zu trinken, traf ihn ein Pfeil im Mund. Daraufhin stürzten die Soldaten des Kalifen von allen Seiten hinzu. Dreißig Speere durchbohrten Hossein, und Amr ließ seine Kavallerie so lange über den Toten hin und her reiten, bis der Leichnam zerstampft am Ufer lag. Der Kopf Hosseins wurde nach Damaskus geschickt.
Und am Jüngsten Tag wird Allah, der im Begriff ist, die ganze Menschheit trotz der Fürsprache von Mohammed und Isa ben Mariam 24 und Moses und den zweihundertsiebzigtausend Propheten in die Hölle zu werfen, sich Hosseins erinnern, des Wehklagens der Frauen und des Todes der Söhne und des Durstes in den Zelten von Kerbela, und Tränen werden ihm in die Augen steigen, und all jene, die um Hossein geweint, die sich für ihn geopfert, für ihn gelitten haben, sie alle werden verschont und in das Paradies aufgenommen, den Garten mit den ewig grünen Bäumen, unter denen die ewig jungfräulichen Huris warten.
In Teheran dämmert der schreckliche, der entsetzliche 10. Moharram heran. Die nächtlichen Straßen waren erfüllt von Fackelschein und Gesang und dem dumpfen rhythmischen Schlagen an die entblößte Brust. Im Morgengrauen sind nun überall Wasserträger unterwegs, die den Passanten Wasser anbieten zur Erinnerung an den schrecklichen Durst, der in den Zelten vor Kerbela herrschte. Jetzt greifen Amrs Reiter an, die ersten Pfeile fliegen.
Auf einem Platz im Basar hat sich eine große Menschenmenge versammelt. Auf einem Dach sind Stühle für das diplomatische Corps bereitgestellt worden. Europäer in Gehrock und Uniform, in weißen Leinenanzügen wie für eine Gartenparty, Damen in pastellfarbenen Kleidern sowie als Eskorte einige Gendarmen. Aus allen Gassen des gedeckten Basars ertönt dumpfes Getrommel und der rauhe atemlose Ruf «Hassan, Hossein, Hassan, Hossein».
Kosaken und Gendarmen kommen vorbei, sehr langsam, mit gesenktem Kopf, gefolgt von geführten Pferden. Hier und da sieht man Tränen über eine tabakbraune Wange laufen. Rasselndes Pferdegeschirr, glitzernde Standarten in der Sonne, die Hand Fatimas, der Halbmond mit dem Federbusch, grüne Fahnen und orangefarbene Fahnen, schwarzgewandete Büßer, die sich an die entblößte Brust schlagen, erfüllen den Platz mit ihren dumpfen, rauhen Klagerufen. Dann, hinter der messingverzierten Konstruktion aus schweren Metallblättern, kommen Männer im Lendenschurz, Spieße und Dolche im Fleisch, Dornenschmuck hängt von den nackten Schultern, Männer wie von Lanzen und Pfeilen getroffen, schweißüberströmt und staubbedeckt in der Sonne. Es folgen zwei lange Kolonnen von Männern und Jungen in weiten weißen Gewändern, mit Ketten gegürtet, jeder hält sich mit der Linken am Gürtel des Vordermanns fest und schlägt sein Schwert mit der Rechten flach auf den kahlgeschorenen Schädel. Langsam bewegen sie sich, wiegend, stöhnend, sich rhythmisch geißelnd. Das Blut läuft ihnen über Gesicht und Hals und gerinnt auf den weißen Gewändern zu Staubklumpen. Es riecht nach Blut und Schmerzensschweiß. Von überall her der erstickte Klageruf «Hossein, Hassan, Hassan, Hossein», unablässig, rauh. Die Sonne funkelt auf den Säbeln, auf den metallischen Standarten, gärt in dem schwärzlichen Blut. Hassan, Hossein. Wer um Hossein weint, wer für
Weitere Kostenlose Bücher