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Orient-Express (German Edition)

Orient-Express (German Edition)

Titel: Orient-Express (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dos Passos
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einen bohrten wie die Schwerter der Mater dolorosa. Warum ist der Osten so anders als der Westen, warum ist man im Süden glücklich und im Norden elend?
    Ein Hauch von angesengtem Fleisch lag in der Luft, und dann erschien der Armenier auch schon mit ein paar Kebabspießen in der Hand, dünnem Fladenbrot und einer weißen Melone unter dem Arm. Wir aßen und schliefen auf der Stelle ein.
    Am nächsten Morgen war der Hof leer. Die Pilger waren vor Tagesanbruch verschwunden. Wir tranken etwas Tee und fuhren los. An diesem Tag würden wir den gewaltigen Pass überqueren, der sich tausenddreihundert Meter hinabwindet in die mesopotamische Ebene. Ich war unruhig und bedrückt. Namen der Städte, die ich alle nicht gesehen hatte, summten wie Mücken um die Ohren – Kabul, Herat, Chorasan, Isfahan, Schiras. Bagdad kann das nicht aufwiegen. Es hatte auch so einen deutschen Klang, erinnerte an Artikel in der Nation über die Nahostfrage und an den «Winter Garden». Ah, diese bonbonfarbenen arabischen Nächte.
     
And the ladies of the harem
Knew exactly how to wear ’em
In Oriental Baghdad long ago.
     
    Warum schließlich einen Ort ansteuern, der so definitiv in Berlin und New York etabliert ist? Bagdad ist in den Geheimplänen des deutschen Generalstabs, in Jake und Lee Shuberts Bühnenfundus, in den Tresoren der Anglo-Persian. Warum sich am Ufer des Tigris herumtreiben? Zwischen den beiden Flüssen wurde Ausländern immerhin das Wrack des Garten Eden gezeigt und ebenjener Feigenbaum, aus dessen Blättern Adam und Eva Anstand, Moral und Tugend geschneidert hatten. Das war doch etwas!
    Derweil rollte der Ford voran. Wir kamen an all den Pilgern vorbei, die die Nacht in der Karawanserei verbracht hatten. Die ausgedörrte weite Ebene wellte sich, wurde von Gräben durchzogen. Plötzlich floss die Ebene durch eine Bergspalte, die Straße wurde mitgerissen, wir kamen in ein breites, steil abfallendes Tal, das sich zu einer Schlucht verengte, und fuhren im Zickzack eine Bergwand hinunter. Die Hügel vor uns falteten sich wie enorme Stufen zu einer Abfolge von blaugestreiften Horizontalen. Das Meer? «Mespot», sagte der Armenier. «Dort drüben, Bagdad.»
    In Kasr Schirin schienen alle zu glauben, ich hätte es furchtbar eilig. Der Ort war ein hübsches rosa und weißes Städtchen mit Balkonen, die von dünnen weißen Säulen getragen wurden. Ich wollte bleiben und etwas essen, herumsitzen und mir die Stadt ansehen, doch alle dachten, dass ich den Zug verpassen würde, wenn ich nur eine Sekunde wartete. Und bevor ich mich versah, wurde ich in ein Gefährt mit drei Gendarmen samt Gewehr gepackt, und los ging die Fahrt nach Chanikin, wie ich annahm.
    Dieser Wagen wurde von zwei Maultieren gezogen und erinnerte mich ein wenig an die Darstellungen der Ochsenkarren der Merowinger auf den Fleißkärtchen, die man bei einer guten Note im Französischunterricht bekam. Es war eine (ungefederte) Wagonette mit Verdeck und hübsch gerafften Seitengardinen. Der Holzrahmen war mit hellroten und blauen und lila Blumen bemalt. Auf der Ladefläche lagen der Gendarmerieoffizier und ich, der Länge nach ausgestreckt, Rücken an Rücken, die Köpfe elegant mit den Händen abgestützt, während die beiden einfachen Gendarmen zu unseren Füßen hockten. Der Kutscher ging nebenher und trieb die Maultiere fluchend an.
    So verließ ich Kasr Schirin und Persien widerstrebend und in orientalischer Pracht.
    Durch eine aberwitzig zerzauste Landschaft aus rosa und violetten und zart orangefarbenen Hügelchen, zinnoberroter Ödnis und einem großen kieselsteinernen Flussbett. Nirgendwo ein Hauch von Grün, nur dieses Durcheinander aus kraftlosen Mineralfarben in der sengenden Nachmittagssonne. Schlingernd rumpelte der Wagen über die zerfurchte Piste. Rosa Staub legte sich über uns, und schließlich erreichten wir, durchgerüttelt und hungrig und durstig, den Bahnhof, die Endstation aller Endstationen. Ein Gleis mit ein paar gelben Schuppen, alte Männer hockten im Sand und verkauften Wassermelonen. Dahinter noch weitere Schuppen und ein Gleis, auf dem drei separate Güterwagen standen. Ringsherum mehrere Stacheldrahtzäune. Das hier, Bahnhof und Absperrung, war die irakische Grenze.
    Die persischen Gendarmen trugen den Koffer und geleiteten mich ernsten Gesichts in das Bahnhofsgebäude und kehrten wieder um. Der Wagen entfernte sich, und ich war allein mit den Fliegen. Nach Stunden fand ich den Babu Bahnhofsvorsteher, einen wichtigtuerischen und strengen

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