Ort der Angst (German Edition)
gewesen. Und der Teuerste. Sich das Schweigen geeigneter Helfer zu sichern, hatte ihn einen großen Teil seines Vermögens gekostet. Wäre der Plan aufgegangen, hätte sich die Investition gelohnt. Aber dieser Schwachkopf Kolem musste alles zunichtemachen.
Xaman entsann sich, wie sein Kontrahent ihn nach der Gefangennahme an die Wand eines Kerkers binden und tagelang foltern ließ, während er zusah und sich an den erlesensten Speisen und Getränken von einer eigens dafür angerichteten Tafel labte. Man gab Xaman weder zu essen, noch zu trinken. Von Zeit zu Zeit gefiel sein Peiniger sich darin, seinen feisten Leib zu erheben und sich mit fetttriefendem Gesicht direkt vor Xaman zu positionieren, damit er ihm mit dem Handrücken den Duft eines Maisgerichts oder eines Stücks Fleisch zufächeln konnte.
„Ich weiß, es ist unhöflich, Euch als meinem geschätzten Gast nichts von diesen Köstlichkeiten anzubieten“, sagte er einmal. „Ich fürchte nur, Ihr könntet es nicht genießen, nachdem Euch die Zähne abhandengekommen sind. Es sei denn …“ mit einem bösen Grinsen auf den Lippen biss er von einem Stück Gebratenem ab, zerkaute das Fleisch und spuckte es auf einen Teller, um es seinem Opfer anzubieten. Xaman leckte sich über die rissigen Lippen. Der Geschmack seines eigenen Blutes war das einzige, was sein Gaumen seit einer gefühlten Ewigkeit kosten durfte. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, Speichel sammelte sich unter seiner Zunge. In erwartungsvoller Vorfreude, Xaman noch weiter gedemütigt zu sehen, hielt Kolem ihm den Teller dicht vor den Mund. Xaman musste nur noch den Kopf heben, um zu essen. Doch anstatt sich auf dieses Spiel einzulassen, spie er dem anderen einen Schwall aus Blut und Spucke ins Gesicht. Kolem ließ ihm dafür sämtliche Fingernägel ausreißen. Doch was spielte das noch für eine Rolle? Wenigstens verzichtete der Quacksalber fortan darauf, ihm nahe zu kommen und ergötzte sich stattdessen aus gemessener Entfernung an seinem Leid.
Glühende Holzspieße bohrten sich in Xamans Fleisch, Messer aus Obsidian zerschnitten seine Haut, ehe man sie ihm in feinsten Streifen vom Leib zog. Kolems Einfallsreichtum kannte keine Grenzen. In immer kürzeren Abständen wurden die Schmerzen so unerträglich, dass Xaman das Bewusstsein verlor. Sobald er erwachte, litt er erneut unter den schrecklichsten Qualen. Das offengelegte Gewebe brannte fortwährend, als sei er eine lebende Fackel, die von einer Lohe des Leids verzehrt wurde.
Erst als Eiter aus Xamans Wunden rann und ein grauenhafter Gestank von seinem Körper ausging, erklärte Kolem, das Schauspiel bereite ihm keine Freude mehr. Er behauptete sogar, es verschlüge ihm den Appetit. Diese Bemerkung verlieh Xaman gerade noch genug Kraft, um seinen Widersacher ein letztes Mal auszulachen, ehe man ihn von der Aufhängung schnitt.
Später fand er sich mit gefesselten Händen mitten im Dschungel vor einem schmalen Wasserloch kniend wieder. Seine Finger waren ausnahmslos gebrochen und bogen sich grotesk in alle Richtungen. Erschöpft legte er den Kopf in den Nacken. Er konnte kaum noch aus den Augen sehen, aber es musste sehr früh am Morgen sein. Die Nebel des Waldes hüllten noch immer die Baumkronen ein. Schade, ich hätte gerne noch einmal gesehen, wie das Licht durch die Äste der Bäume bricht, dachte Xaman im allerletzten Moment, ehe der Schlag einer Axt ihm den Hinterkopf zertrümmerte und Splitter seines Schädels ins Gehirn jagte.
Sein verstümmelter Leichnam kippte vornüber, durchbrach mit einem Klatschen die Wasseroberfläche und sank durch das Loch auf den Grund des Cenote, wo er verfaulte. Doch selbst der Tod brachte nicht die ersehnte Erlösung. Xamans Frevel wog so schwer, dass die Götter ihn vom ewigen Kreislauf ausgeschlossen hatten und in den Stein seiner Ahnen sperrten, den er bei sich trug. Dort, zusammen mit den Echos seiner Vorfahren, verharrte sein Bewusstsein über die Jahrhunderte, bis sich eine Möglichkeit bot, dem Gefängnis der Leere zu entfliehen. Jetzt musste er einen Weg finden, seinen Verrat zu sühnen. Die Überreste des falschen Königs zu vernichten war ein Anfang gewesen.
Gedankenverloren öffnete Xaman eine Plastiktüte mit dem Aufdruck einer fünffarbigen Sonne. Aus Miguels gespeicherten Erinnerungen wusste er, dass der Mann seinem Sohn in diesem Behältnis Süßigkeiten vom Markt mitgebracht hatte. Schon zu Xamans Zeiten ließ Naschwerk jedes Kinderherz höher schlagen. Nun, bei dem des kleinen
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