Oryx und Crake
Sein Vater schenkte ihm immer irgendein Werkzeug, weil er hoffte, ein praktisches Talent in ihm zu fördern. Sein Vater fand, Jimmy habe von Tuten und Blasen keine Ahnung. Wer will denn blasen?, fragt die Stimme in seinem Kopf, ein Komiker diesmal. Lieber blasen lassen!
»Halt die Klappe«, sagt Schneemensch.
»Hast du ihm einen Dollar gegeben?«, hatte Oryx gefragt, als er ihr von dem Messer erzählte.
»Nein. Warum?«
»Du musst Geld geben, wenn dir jemand ein Messer schenkt. Damit das Pech dich nicht schneidet. Ich möchte nicht, dass du vom Pech geschnitten wirst, Jimmy.«
»Wer hat dir das denn erzählt?«
»Och, jemand«, sagte Oryx. Jemand spielte eine große Rolle in ihrem Leben.
»Wer jemand?« Jimmy hasste ihn, diesen Jemand – gesichtslos, augenlos, spöttisch, nichts als Hände und Schwanz, mal einzeln, mal doppelt, dann eine Vielzahl –, aber Oryx hatte ihren Mund direkt an seinem Ohr und flüsterte: Oh-oh, jemand, und lachte dazu, und wie hätte er sich da noch auf seinen dummen alten Hass konzentrieren können?
In der kurzen Phase des Unterstands hatte er auf einem Klappbett geschlafen, das er aus einem eine halbe Meile entfernten Bungalow angeschleppt hatte, ein Metallrahmen mit Schaumstoffmatratze auf einem Sprungfedergeflecht. In der ersten Nacht war er von Ameisen angegriffen worden, woraufhin er vier Blechdosen mit Wasser füllte und die Beine seines Betts hineinstellte. Danach hatte er Ruhe vor den Ameisen. Aber die feuchte Hitze, die sich unter der Plane sammelte, war schrecklich: In der Nacht, zu ebener Erde und ohne einen Windhauch herrschte eine Schwüle, die sich anfühlte wie hundert Prozent Luftfeuchtigkeit. Sein Atem ließ das Plastik beschlagen.
Eine Plage waren auch die Wakunks, die durch das Laub huschten und an seinen Zehen schnupperten, ihn beschnüffelten, als wäre er bereits Müll; und eines Morgens war er aufgewacht und hatte drei Organschweine erblickt, die ihn durch das Plastik anstarrten. Eines war männlich; er meinte die weiß schimmernde Spitze eines Hauers zu erkennen. Organschweine sollten eigentlich keine Hauer haben, aber vielleicht entwickelten sie sich ja zu einer Urform zurück, seitdem sie wild lebten, was angesichts ihrer Wachstumsgene rasend schnell gehen musste. Er hatte sie angebrüllt und mit den Armen gewedelt, und sie waren davongerannt, aber wer konnte sagen, was sie anstellen würden, wenn sie das nächste Mal vorbeikämen? Sie oder die Hunölfe: Sie würden nicht ewig brauchen, um zu merken, dass er keine Energiewaffe mehr hatte. Er hatte sie weggeworfen, nachdem ihm die virtuelle Munition dafür ausgegangen war. Dumm, dass er kein Ladegerät hatte mitgehen lassen: ein Fehler. Ebenso wie das Nachtquartier zu ebener Erde.
Deshalb ist er auf den Baum gezogen. Dort oben gibt es weder Organschweine noch Hunölfe und nur wenige Wakunks: Sie halten sich lieber im Unterholz auf. Aus Sperrholz und Isolierband hat er sich in den Hauptästen eine grobe Plattform gezimmert. Sie ist nicht schlecht geworden: Im Zusammenbauen von Dingen war er schon immer geschickter, als sein Vater meinte. Zuerst hatte er die Schaumstoffmatratze dort oben, aber sie fing an zu schimmeln und quälend nach Tomatensuppe zu riechen, und er musste sie wegwerfen.
Das Plastikdach seines Unterstands hat ein ungewöhnlich heftiger Sturm fortgerissen. Das Bettgestell aber ist noch da, und er benutzt es mittags. Wenn er sich darauf legt, flach auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet und ohne sein Laken wie ein Märtyrer auf dem Rost, ist es besser als auf dem Boden: So werden wenigstens alle Seiten des Körpers von einem Lufthauch gestreift.
Aus dem Nichts taucht ein Wort auf: mesozoisch. Er kann das Wort sehen, kann es hören, kann es aber nicht erreichen. Er kann nichts damit verbinden. Das passiert ihm ziemlich oft in letzter Zeit, dass Bedeutungen davontreiben, die Einträge in seinen geliebten Wortlisten sich in Luft auflösen.
»Es ist nur die Hitze«, sagt er sich. »Wenn es erst regnet, kommt alles wieder in Ordnung.« Er schwitzt so heftig, dass er es beinahe hören kann; Rinnsale aus Schweiß kriechen an ihm herunter, allerdings sind die Rinnsale manchmal auch Insekten. Anscheinend übt er eine große Anziehung auf Käfer aus. Käfer, Fliegen, Bienen, als wäre er totes Fleisch oder eine der abstoßenderen Blumen.
Das Beste an den Mittagstunden ist, dass er wenigstens nicht hungrig wird: Schon beim Gedanken an Essen wird ihm flau im Magen, wie bei der Vorstellung von
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