Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
Grashüpfer, schaut voller Nostalgie zu, wie sie davonschwirren. Schon entschwindet diese Angewohnheit in die Vergangenheit wie eine Geliebte, die man vom Zugfenster aus sieht, zum Abschied winkend, unerbittlich in den Raum gezogen, in die Zeit, so schnell.
    Er geht zu seinem Versteck, öffnet es, trinkt ein bisschen Wasser. Sein Fuß schmerzt wie der Teufel, er ist schon wieder rot um die Wunde, der Knöchel ist geschwollen: Was auch immer da drin ist, es hat den Paradice-Cocktail und die Craker-Behandlung überstanden. Er verreibt etwas von dem antibiotischen Gel, so nutzlos wie Matsch. Zum Glück hat er Aspirin; das wird den Schmerz mildern. Er schluckt vier, kaut einen halben Kraftriegel, um Energie zu haben. Dann holt er seine Energiepistole heraus, prüft das Magazin mit den virtuellen Patronen.
    Er ist nicht bereit. Er ist nicht gesund. Er hat Angst.
    Er könnte beschließen zu bleiben, wo er ist, abwarten, wie sich die Dinge entwickeln.
    Oh Schatz. Du bist meine einzige Hoffnung.

    Er folgt dem Strand Richtung Norden, benutzt seinen Stock, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hält sich so weit wie möglich im Schatten der Bäume. Der Himmel erhellt sich, er muss sich beeilen. Er kann jetzt den Rauch sehen, der in einer dünnen Säule aufsteigt. Er wird eine ganze Stunde oder noch länger brauchen, um dorthin zu kommen.
    Sie wissen nichts von ihm, diese Leute; sie wissen, dass die Craker da sind, aber ihn werden sie nicht erwarten. Darin liegt seine Chance.
    Er hinkt von Baum zu Baum, flüchtig, weiß, ein Gerücht. Auf der Suche nach seiner eigenen Art.
    Hier ist ein menschlicher Fußabdruck, im Sand. Dann noch einer. Sie haben keine scharfen Ränder mehr, weil der Sand hier trocken ist, aber sie sind unverwechselbar. Und hier gibt es eine ganze Menge Spuren, die hinunter zum Meer führen. Mehrere unterschiedliche Größen. Wo der Sand feucht wird, kann er sie besser sehen. Was haben diese Leute gemacht? Gebadet, gefischt? Sich gewaschen?
    Sie trugen Schuhe oder Sandalen. Hier ist die Stelle, wo sie sie ausgezogen haben, hier die Stelle, wo sie sie wieder angezogen haben.
    Er stempelt seinen eigenen gesunden Fuß in den nassen Sand, neben den größten Fußabdruck: eine Art Signatur. Sobald er seinen Fuß heraushebt, füllt sich der Abdruck mit Wasser.
    Er kann den Rauch riechen, jetzt kann er die Stimmen hören. Er schleicht sich weiter, als ob er durch ein leeres Haus ginge, in dem immer noch Menschen sein könnten. Was, wenn sie ihn sehen? Einen haarigen nackten Irren, der nur eine Baseballmütze auf dem Kopf hat und eine Energiepistole trägt. Was würden sie tun? Schreien und weglaufen? Angreifen? Die Arme ausbreiten, freudig und mit brüderlicher Liebe?
    Er späht durch den Schirm aus Blättern: Es sind nur drei, sie sitzen um ihr Feuer herum. Sie haben auch eine Energiewaffe dabei, eine CorpSeCorps-Spezial, aber sie liegt auf der Erde. Sie sind dünn und sehen übel zugerichtet aus. Zwei Männer, einer braun, einer weiß, eine teefarbene Frau, die Männer in tropischem Khaki, Standard, aber schmutzig, die Frau in den Resten irgendeiner Uniform –
    Krankenschwester, Wachposten? Muss mal hübsch gewesen sein, bevor sie so viel abgenommen hat; jetzt ist sie ausgemergelt, ihr Haar gegerbt, strohig. Alle drei sehen erschöpft aus, am Ende.
    Sie braten etwas – irgendeine Art Fleisch. Ein Wakunk? Ja, da liegt der Schwanz, da drüben auf der Erde. Sie müssen es geschossen haben.
    Die arme Kreatur.
    Schneemensch hat schon so lange kein gebratenes Fleisch mehr gerochen. Ist das der Grund, warum ihm die Augen tränen? Er zittert jetzt. Er hat wieder Fieber.

    Was tun? Vorrücken mit dem Streifen eines Lakens, der an einen Stock gebunden ist, die weiße Fahne schwenkend? Ich komme in Frieden.
    Aber er hat sein Laken nicht dabei.
    Oder: Ich kann euch große Schätze zeigen. Aber nein, er hat nichts, das er mit ihnen tauschen könnte, und sie auch nicht. Sie haben nichts als sich selbst. Sie könnten ihm zuhören, sie könnten sich seine Geschichte anhören, er könnte sich ihre anhören. Sie könnten wenigstens etwas von dem verstehen, was er durchgemacht hat.
    Oder: Macht euch verdammt noch mal von meinem Acker, bevor ich euch wegpuste, wie in einem Western alten Stils. Hände hoch. Geht langsam zurück. Die Waffe bleibt da. Das wäre allerdings noch nicht das Ende. Sie sind zu dritt und er allein. Sie würden das tun, was er an ihrer Stelle auch täte: Sie würden weggehen, aber sie würden lauern, sie

Weitere Kostenlose Bücher