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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Welt.»
    «Ach so. Ich danke Ihnen», gab sie so ernst zurück, dass er nicht sicher war, ob sie sich nicht über ihn lustig machte.

    «Haben Sie den Antrag ausgefüllt? Dann möchte ich ihn bitte sehen.»
    Sie reichte ihm einen braunen Umschlag mit einem sorgsam gefalteten Dokument.
    «Ist das okay?» Zum ersten Mal lag eine Andeutung von Besorgnis in ihrem Ton.
    «Tipptopp», verkündete er schließlich. «Alles in Ordnung. »
    «Ich danke Ihnen für Ihre Beratung», sagte sie und machte Anstalten, sich zu erheben. «Ich werde jetzt zum Tor gehen und dort warten.»
    «Aber wie stellen Sie sich das vor?», rief er laut und schlug sich vor die Stirn. «Glauben Sie, das ist so einfach? Sie geben Ihren Antrag einfach ab, und – husch – schon überreichen die Ihnen mit freundlichem Lächeln die Einreisegenehmigung? Oh, Miss Rehana, ich sage Ihnen, Sie begeben sich an einen Ort, der schlimmer ist als jedes Polizeirevier.»
    «Tatsächlich?» Seine Beredsamkeit schien zu wirken. Jetzt hatte er eine aufmerksame Zuhörerin gefunden, und er konnte sie noch einige Minuten länger bewundern.
     
    Nach einem zweiten tiefen, beruhigenden Atemzug ließ er seine Standardrede vom Stapel und erklärte ihr, die Sahibs hielten sämtliche Frauen, die an den Dienstagen hier auftauchten und behaupteten, Angehörige von Busfahrern in Luton oder vereidigten Buchprüfern in Manchester zu sein, für Lügnerinnen, Schwindlerinnen und Betrügerinnen.
    «Aber dann werde ich ihnen einfach sagen, dass ich eine Ausnahme bin, dass ich nicht so bin», protestierte sie.
    Ihre Naivität ließ ihn vor Angst um sie erschauern. Ein Spatz sei sie, erklärte er ihr, die da drinnen aber seien Männer mit verhangenen Augen, wie Falken. Man würde ihr Fragen stellen, verriet er ihr, persönliche Fragen – Fragen, die sogar
der eigene Bruder einer Lady nicht zu stellen wage. Ob sie noch Jungfrau sei, würden sie fragen, und falls nicht, welche Gewohnheiten ihr Verlobter bei der Liebe habe und welche geheimen Kosenamen sie füreinander erfunden hätten.
    Muhammad Ali drückte sich bewusst brutal aus, damit der Schock, den sie bekommen würde, wenn es tatsächlich dazu oder zu Ähnlichem kam, sie nicht so hart traf. Ihr Blick blieb gelassen, doch ihre Hände auf der Schreibtischkante begannen zu zittern.
    Er fuhr fort: «Man wird Sie fragen, wie viele Zimmer es im Haus Ihrer Familie gibt, welche Farbe die Wände haben und an welchen Tagen Sie den Müll ausleeren. Man wird Sie nach dem zweiten Vornamen der Stieftochter der dritten Cousine der Mutter Ihres Mannes fragen. Und all diese Fragen wurden bereits Ihrem Mustafa Dar in seinem Bradford gestellt. Und wenn Sie nur einen einzigen Fehler machen, sind Sie erledigt. »
    «Ja», sagte sie, und er hörte genau, wie sie sich bemühte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. «Und wie lautet Ihr Rat, guter Mann?»
     
    An dieser Stelle begann Muhammad Ali sonst eindringlich zu flüstern und seiner Klientin zu erklären, er kenne da einen Mann, einen sehr netten Menschen, der im Konsulat arbeite, und über den könne er – für einen bestimmten Betrag – die notwendigen Papiere mit allen notwendigen Stempeln und Siegeln besorgen. Das war ein wahrhaft gutes Geschäft, denn die Frauen bezahlten nicht selten fünfhundert Rupien oder gaben ihm ein goldenes Armband für seine Bemühungen und gingen hochzufrieden davon.
    Da sie aus Ortschaften kamen, die Hunderte von Meilen entfernt lagen – dessen versicherte er sich gewöhnlich, bevor er sich daranmachte, sie reinzulegen –, war es unwahrscheinlich,
dass sie ihn abermals aufsuchten, wenn sie den Betrug entdeckten. Sie fuhren nach Sargodha oder Lalukhet zurück und fingen an zu packen, und ganz gleich, zu welchem Zeitpunkt sie darauf kamen, dass er sie geprellt hatte – es war in jedem Fall zu spät.
    Das Leben ist schwer, und von irgendetwas muss ein alter Mann leben. Warum sollte Muhammad Ali Mitleid mit diesen Dienstagsfrauen haben?
     
    Aber wieder spielte ihm seine Stimme einen Streich, sodass er Miss Rehana, statt mit der gewohnten Belehrung zu beginnen, sein bestgehütetes Geheimnis verriet.
    «Miss Rehana», sagte seine Stimme, der er verwundert lauschte, «Sie sind ein Mensch, wie man ihn selten findet, ein Juwel, und ich werde für Sie tun, was ich vielleicht nicht mal für meine eigene Tochter tun würde. Ich bin an ein Dokument gelangt, das all Ihre Probleme auf einen Schlag lösen kann.»
    «Und was ist das für ein wundertätiges

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