OstfriesenKiller
dachten beide dasselbe: Es hörte sich an, als sei das Meer hungrig.
Ulf Speicher forderte die beiden Frauen auf, die Stiefel auszuziehen und wie er barfuß zurückzuwaten. Gerade lief die Frisia V durch die ausgebaggerte Fahrrinne in Norddeich ein. Es sah aus, als würde sie auf Rädern durchs Watt gezogen werden. Irgendwie gespenstisch. Ein Schiff, das auf dem Trockenen fuhr.
Ulf Speicher grinste, als er die riesige Graffiti sah:
Nordsee ist Mordsee.
Die Schrift, eingerahmt von Totenköpfen, musste über mehrere Meter gehen. Er hatte so einen Graffiti-Künstler unter seinen Zivildienstleistenden.
Vielleicht war Kai das, dachte er nicht ohne Stolz.
Ulf Speicher hob eine Muschel aus dem Wasser, zeigte sie vor und aß sie demonstrativ auf. Er wusste, dass das die beiden Frauen wahrscheinlich ein bisschen ekelte. Dann ließ er seinen üblichen Spruch los: »Frischer kriegt man sie nirgendwo.«
Er schlürfte das Innere der Muschel aus und schluckte es absichtlich laut runter. Über Alexas Rücken lief eine Gänsehaut. Es hatte etwas Animalisches, wie er diese Muschel aussaugte. Und schon bückte er sich nach der nächsten.
Er hielt ihr die Muschel hin. Ihre Schwester wendete sich angewidert ab: »Das wirst du doch wohl nicht essen!«
Alexa nahm die Muschel. Hier ging es nicht um eine kleine Meeresfrucht. Das hier war etwas anderes. Das hier war eine Verabredung, eine Verabredung zum Sex. Sie wusste es, und Ulf Speicher wusste, dass sie es wusste.
Sie nahm die Muschel zwischen ihre Lippen und schluckte sie mit einem leichten Ekelgefühl hinunter.
Ulf Speicher nahm sie in den Arm und lachte. Er beglückwünschte sie und lud beide Frauen zu sich nach Hause zum Muschelessen ein.
Liane kapierte natürlich sofort, dass diese Einladung nicht wirklich für sie galt. Ein bisschen freute sie sich für ihre Schwester, die in den letzten Jahren nun wahrlich kein einfaches Leben gehabt hatte, und gönnte es ihr. Aber ein bisschen war sie auch erstaunt, dass ihre solide Schwester sich auf einen Mann einließ, den sie erst heute Morgen kennengelernt hatte.
Liane lehnte dankend ab, sie wollte in ihre Ferienwohnung zurückgehen, um sich ein bisschen auszuruhen. Sie habe sich wohl bei der Wattwanderung heute etwas übernommen.
Als sie das Festland erreichten, gingen Ulf und Alexa bereits Hand in Hand wie ein frisch verliebtes Pärchen. Liane ging gut zwanzig Meter hinter ihnen, um nicht zu stören.
Die Fahrt von Norddeich nach Süderneuland dauerte knapp fünfzehn Minuten. Ulf Speicher gab Gas. Sie sprachen während der Fahrt nicht. Alexa war aufgeregt wie beim ersten Mal. Sie war ihrer Schwester dankbar, dass sie so unkompliziert die Bahn freigemacht hatte für dieses Liebesabenteuer.
Ulf Speicher bewohnte eine Doppelhaushälfte. 127 Quadratmeter. Groß genug für ihn und seine fast viertausend Bücher umfassende Bibliothek.
Das Haus gefiel Alexa. So eins hatte sie sich immer gewünscht. Die roten Backsteinziegel strahlten friesische Heimeligkeit aus.
Das Garagentor funktionierte per Fernbedienung. Überlebensgroß war John Lennons Kopf auf das Tor gemalt.
Alexa lächelte. Jetzt wusste sie wenigstens, welche Musik er mochte.
Im Flur zogen sie sich schon im Stehen aus. Sie konnten ihre Sachen gar nicht schnell genug loswerden.
Sie überlegte, wann sie sich zum letzten Mal vor einem Mann nackt ausgezogen hatte. Es war mindestens vier, fast fünf Jahre her und in einer Beziehungskatastrophe geendet. Danach hatte sie sich irgendwie aufgegeben und war auseinandergegangen wie ein Hefekloß. Ihre Schwester sagte, sie habe einen Schutzpanzer um sich herum geschaffen, einen Panzer aus Fett.
Ulfs Bauch und seine einem Teddybär ähnliche Figur machten es ihr leichter.
Er meinte verschmitzt, dass er mit diesen halb verhungerten Frauen aus den Illustrierten nichts anfangen könne. Er stünde mehr auf Rubensmodelle, auf richtige Frauen, wie sie eine sei. Sie war ihm dankbar dafür.
Während er zärtlich ihre großen Brüste streichelte und liebevoll küsste, wurde die Kugel, die dazu bestimmt war, das Leben von Ulf Speicher auszulöschen, in den Gewehrlauf geschoben.
Hauptkommissarin Ann Kathrin Klaasen kam sich blöd dabei vor. Aber sie tat es trotzdem. Es war ein günstiger Moment. Sie saß alleine im Büro. Ihre Kollegen Weller und Rupert unterhielten sich im Flur euphorisch über den Aufstieg der Auricher Handballer von der Kreisklasse in die zweite Handballbundesliga.
Ann Kathrin Klaasen musste den Namen zweimal
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