Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
meine Puppen haben. Verreckt doch einfach in eurer dreckigen Mistwelt!«
Dann verließ Frauke den Keller. Sie wusste ganz klar, was geschehen würde. Die beiden hatten zu diesem Haus hier gefunden. Andere würden nach ihnen kommen. Die Geschichte ließ sich nicht mehr geheimhalten.
Ihre Wunde musste versorgt werden. Sie traute sich sogar zu, das selbst zu tun. Es war ein glatter Durchschuss. Sie verlor viel Blut und konnte diese Stelle nicht gut abbinden. Aber sie machte sich einen Pressverband und schluckte ein paar Schmerztabletten.
Sie steckte Ruperts Waffe in ihre Manteltasche und zog den Mantel über. So war auch die Wunde in ihrer Schulter nicht gleich für jeden zu sehen.
Dann nahm sie die Zwillinge, legte die Kinder in eine Einkaufstasche und ging mit ihnen zum Auto.
Sie lief ins Haus zurück und holte noch ein paar ihrer Lieblingspuppen, die sie auf dem Rücksitz drapierte.
Ihre Mutter nahm sie nicht mit. Sie ließ sie oben in ihrem alten Zimmer, in dem sie sich auch früher so gerne eingeschlossen hatte. Frauke ging nur noch einmal zu ihr, um sich zu verabschieden und um die Spieluhr aufzuziehen, die sie ihr dort eingepflanzt hatte, wo früher einmal ihr Herz geklopft hatte.
»Um diese Zeit«, fluchte Weller, »ist es in Ostfriesland leichter, ein Bier zu bekommen als einen Einsatzwagen!«
Da fuhr ihnen auf der einsamen Straße ein Fahrzeug entgegen. In den Lichtkegeln der beiden Scheinwerfer kamen sich Ann Kathrin und Weller merkwürdig ausgeliefert vor.
Der Wagen hielt an. Es war ein Bulli. Weller kam sich lächerlich dabei vor, doch er brachte seine rechte Hand in die Nähe seiner Dienstwaffe.
Peter Grendel, ihr Nachbar aus dem Distelkamp, stieg aus.
»Was macht ihr beiden denn hier?«, lachte er.
»Peter? Du? Wo kommst du denn her?«
»Na, wo kommt ein Maurer um diese Zeit her? Von einer Baustelle. Wir haben Aufträge bis hier.« Peter zeigte auf seine Unterlippe. »Bei dem Wetter kloppen wir Überschichten.«
»Wir auch«, sagte Ann Kathrin und fühlte sich Peter Grendel zutiefst verbunden.
»Ist der Twingo verreckt?«
»Nun, er ist nicht sehr motiviert, uns weiterzufahren«, sagte Ann Kathrin, und Peter Grendel wusste, dass außer ihr kaum jemand das so formulieren würde.
»Wo wollt ihr denn hin? Kann ich euch mitnehmen? Wir könnten zu Hause noch einen Schluck nehmen, bevor dann endgültig …«
»Wir müssen in die andere Richtung«, sagte Ann Kathrin. »Aber ich glaube, es wäre eine gute Idee, wenn du uns nach Warsingsfehn mitnehmen könntest.«
»Mitnehmen ist gut. Das liegt nicht gerade auf meiner Strecke. Aber was tut man nicht alles für seine lieben Nachbarn.«
Die beiden stiegen ein und näherten sich dem Ort des Grauens in einem gelben Bulli mit der Aufschrift: Eine Kelle für alle Fälle.
Noch einmal ging Frauke ums Haus und fragte sich, ob sie es wirklich anzünden sollte.
Ich hab mir so viel Mühe gegeben, dachte sie. So verdammt viel Mühe, um alles aufrechtzuerhalten. Immer wieder hab ich bei eurem gottverdammten Rein-Raus-Spiel mitgemacht. Ich habe Geld verdient. Ich habe Steuern gezahlt! Ich habe versucht, mich an alle Regeln zu halten. Aber wenn ihr wirklich wisst, wer ich bin, werdet ihr mich niemals akzeptieren.
Sie konnte es nicht schaffen, alle Puppen im Moor zu bestatten. Außerdem war das Moor kein sicherer Ort mehr. Man hatte bereits zwei ihrer Engelchen gefunden.
Einfach alles anzünden, dachte sie. Das wird das Beste sein. Es wird mir in der Seele wehtun, aber was kann ich sonst machen? Und dann fliehe ich mit dem Auto und dem Rest, der mir noch geblieben ist.
Sie trug Holzscheite zusammen, die sie für den offenen Kamin gesammelt hatte, und häufte alles im Wohnzimmer in der Nähe des Sofas und der Gardinen auf. Sie goss Kirschwasser darüber. Immerhin hatte der Brand einen Alkoholgehalt von dreiundvierzig Prozent. Sie hoffte, das würde die Flammen beflügeln.
Dann warf sie ein Streichholz hinein, aber es gab keine zischende Explosion. Auch züngelten die Flammen nicht gleich hoch, sondern das Streichholz erlosch einfach nur.
Sie summte: »Lalelu, nur der Mann im Mond schaut zu« , und versuchte es noch einmal. Diesmal zündete sie erst ein paar alte Prospekte für Käthe-Kruse-Puppen an. Damit gelang es. Schon hatte sie ein knisterndes Lagerfeuer mitten im Wohnzimmer.
Immer noch summend ging sie nach draußen. Der brennende Schmerz in der Schulter hatte nachgelassen, aber dieses Schwindelgefühl verstärkte sich. Sie war froh, endlich
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