Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
Einzelkabinen vorbei. Die Fliesen unter ihren Füßen fühlten sich eklig an … feucht und sandig. Auf dem Fußboden, in einer offen stehenden Kabine, lag ein helles Stück Stoff, das wie eine zusammengeknüllte Unterhose aussah … mit roten Flecken. Widerlich.
Als sie die Tür aufstieß, sah Solveigh, dass sie die Erste war. Sie stellte ihre Schuhe neben einer Bank ab und ging zum Beckenrand. Noch nie hatte sie das Wasser so ruhig daliegen sehen … spiegelglatt. Unten im Becken war ein dunkler Schatten zu sehen. Solveigh trat näher, sodass ihre Zehen sich um die Kante krampften und das Wasser berührten. Weit unten, im tiefen Wasser, war etwas … Ein Mensch?
Arme und Beine schienen sich ihr entgegenzustrecken, langes Haar schwebte vor dem Gesicht. Was war das für ein bescheuerter Streich? Und wie konnte jemand so lange die Luft anhalten? Dann realisierte Solveigh, wer dort unten lag. Die hüftlangen dunkelbraunen Haare waren unverwechselbar. Das Kleid, das das Mädchen trug, war bis über die Taille hochgerutscht. Peinlich berührt starrte Solveigh auf den entblößten weiblichen Schoß. Dann erst sah sie das Seil. Es war um Hals und Brust des Mädchens geschlungen und mit einem Metallkorb verbunden, der neben ihm auf dem Beckengrund lag.
Solveigh wollte schreien, doch sie brachte nur ein Krächzen heraus. Dort unten lag Tamara. Sie war eine von ihnen. Und sie war tot.
1. Kapitel
V on der Ostsee her krochen Nebelschwaden wie tastende Finger über den Priwall. Die Luft war kalt und ungesund feucht. Super, dachte Timo Feldheim, als er aus dem warmen Auto stieg. Letzte Woche hatte er sich noch mit einer Bronchitis rumgequält, und heute wollte er an einem Orientierungslauf teilnehmen. Warum? Um Katja einen Gefallen zu tun? Es wird mich schon nicht umbringen, vermutete er und sah sich nach einem Stück Holz um, auf das er klopfen konnte. Blöder Aberglaube. Er würde es eben ruhig angehen lassen. Beim Orientierungslauf kam es ja nicht nur auf schnelles Laufen an, sondern auch auf die Fähigkeit, sich im Gelände zu orientieren und den schnellsten Weg von Posten zu Posten zu finden. Timo unterdrückte ein Husten.
Katja war ihm zum Startplatz vorausgegangen. Er beobachtete, wie sie Vereinskollegen begrüßte, den einen oder anderen umarmte und schnell im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Und wie immer, wenn er sie sah, war er stolz auf sie.
»Wir müssen uns heute ranhalten, Timo«, sagte Katja, als er hinzukam. »Gunnar vom TSV hat eben eine Superzeit vorgelegt: achtunddreißig Minuten, fünfzehn Sekunden. Ich fress ’nen Besen, wenn der diesmal besser ist als wir.«
»Du bist doch super in Form, Katja«, murmelte er. Nur keine Diskussion vor dem Start! Es reichte, wenn sie den Rest des Sonntags schlecht gelaunt sein würde, falls sie zu langsam war.
»Timo überlässt es mal wieder mir, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Er könnte Gunnar auf der Drei-Komma-fünf-Kilometer-Bahn mit Leichtigkeit schlagen«, sagte Katja zu den Umstehenden. Es klang scherzhaft, aber er spürte die Spitze.
»Ich konzentriere mich auf die Acht-Kilometer-Strecke«, erklärte er und ärgerte sich, dass es wie eine Rechtfertigung klang.
»Schaut mal! Da kommen die ersten Kinder zurück«, rief Thomas Landwehr und lenkte so von der Auseinandersetzung ab. Alle blickten den Fliegerweg hinunter. Zwei junge Läufer näherten sich dem Ziel und lieferten sich zum Abschluss ein Wettrennen um den ersten Platz. Landwehr ging zur Stoppuhr, die auf einem Klapptisch bereitstand, um die Zeiten abzulesen. Der Junge überholte das Mädchen auf den letzten Metern. Er keuchte und strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Das Schulterklopfen und die lobenden Worte der Erwachsenen schienen ihm peinlich zu sein. Das Mädchen, das kurz nach ihm eintraf, warf ihm einen bösen Blick zu.
»Habt ihr alle Posten gefunden?«, fragte Landwehr, kaum dass sie zu Atem gekommen waren.
»Nein, den achten … den hab ich nicht. Ich glaub, den hat mal wieder jemand geklaut«, beschwerte sich das Mädchen mit glühenden Wangen. Der Junge nickte zustimmend.
»Ich werde es nachprüfen«, antwortete Landwehr und machte sich eine Notiz auf ihren Laufkarten.
»Waren die anderen weit hinter euch zurück?«, fragte eine Frau, von der Timo wusste, dass ihr siebenjähriger Sohn ebenfalls auf der Kinderstrecke gestartet war.
»Es geht. Die kommen bestimmt auch bald.«
»Du musst ihnen von dem Typen erzählen, Lasse«, sagte das
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