Ostseeliebe
Eisfläche, zum Nachthimmel. Kein Stern war zu sehen, das gegenüberliegende Ufer der großen Insel verschwand im Dunst.
»Na denn los!« sagte Anne schließlich, und als Julia von der Seite einen Blick auf sie warf, fand sie, daß Anne viel älter aussah als gewöhnlich.
Die Piekschlitten standen, mit Planen abgedeckt, direkt an der kleinen Hafenmauer. Der erste war am zweiten festgefroren, den dritten fanden sie zu schwer, erst der vierte kam in Frage. Sie wuchteten ihn in die Senkrechte, schnauften.
»Der ist gut!«
Irgendwie schafften sie es, ihn zu dritt zum Eis zu bugsieren. Denver schnaubte nervös, wich zur Seite aus.
»Ruhig, Denver, ganz ruhig!«
Hilda war sofort bei ihm, flüsternd, kosend. Was hatte dieser riesige Wallach nur für einen Narren an der eleganten Hilda gefressen! Er beruhigte sich sofort. Anne packte Stricke, Riemen, Tücher aus. Nahm irgendwie Maß. Sie führten Denver zu dem Schlitten.
»Ist er schon mal als Kutschpferd gegangen?«
»Mit’nem Landauer dahinter? Bestimmt! Aber ganz sicher nicht mit’nem Schlitten! Wollen mal sehen...«
Hilda nestelte an dem improvisierten Zaumzeug. Denver ließ sich anschirren, er hielt tatsächlich still, als die drei Frauen ihn vor den Schlitten führten und unter der Wolldecke lange Seile rechts und links am Sattel festknüpften, um diese dann mit umständlichen Vertäuungen am Schlitten zu befestigen. Die Riemen waren klamm und hart und nicht für diesen Zweck gemacht. Es dauerte. Julia spürte ein nervöses Kribbeln in den Beinen.
»Geh mal ein paar Schritte! Aber Vorsicht!«
Denver machte erschrocken einen Satz, als der Schlitten mit einem schleifenden Geräusch angezogen wurde.
»Ruhig!«
Julia konnte das Weiße in den Augen des Pferdes sehen.
»Noch einmal!«
Ewigkeiten schienen zu vergehen, die drei, vier Minuten einer Ewigkeit, wenn man sich fürchtet, aber dann hatte Denver das gefährliche Ungetüm in seinem Rücken akzeptiert. Etwas staksig und unsicher, aber gehorsam, so ließ er sich aufs Eis führen.
»Hilda, du kannst unmöglich die ganze Zeit neben ihm herlaufen!« sagte Anne. »Wer weiß, wie weit draußen die sind! Bis zur großen Insel sind es mindestens fünfzig Minuten - mit der Kutsche!«
»Ja, aber wie sollen wir es denn sonst machen? Alle drei können wir nicht auf den Schlitten... Warte mal.«
Hilda überlegte, zog die Nase hoch, merkte es nicht. Wischte sich den Rotz am Ärmel ab. Prüfend schaute sie Denver an:
»Alter Freund, du machst aber keinen Scheiß, hm?« und, zu Julia: »Los, schmeiß mich da rauf!« Als sie die entgeisterten Gesichter der beiden Frauen sah, fauchte sie: »Na los, die Steigbügel haben wir ja für immer vertäut. Also müßt
ihr mich da raufhieven - per Räuberleiter! Los, mach schon!«
Julia verschränkte die Hände. Gab Hilda Halt. Die stieg mit dem linken Fuß in die Handschaufel, zählte bis drei, dann riß Julia die Arme hoch, und tatsächlich: Hilda saß auf der Decke, die sie über Denvers Sattel geschnallt hatten - und strahlte schon wieder. Wie nur Hilda strahlen konnte.
»Na denn, Kinnings - auf!«
Anne und Julia rannten sich fast über den Haufen, so sehr beeilten sie sich, zum Schlitten zu kommen. Der war allerdings verdammt unbequem. So ein Schlitten war ja nur dazu gedacht, ein wenig geschoben zu werden. Die Fischer benutzten ihn wie eine Art Roller, um von einer Fangstelle zur nächsten zu gelangen. Als Reisegefährt war die flache Holzkonstruktion ziemlich ungeeignet. Aber immerhin hielt der Rahmen, als Denver mit einem Ruck loslegte, vor Schreck gleich in einen steifen Trab fiel, und der Schlitten, ohne eine haltende Deichsel, so heftig nach links und rechts schlingerte, daß die Frauen nur mühsam einen Schrei unterdrücken konnten.
»Geht es?« rief Hilda von oben. »Klar doch, Hilda!« log Julia und ärgerte sich über das Quietschen, das einmal ihre Stimme gewesen war. Krampfhaft hielt sie sich fest. Sie und Anne saßen auf den Seitenlehnen des Schlittens, längs zur Fahrtrichtung also, und keine Stange, kein Griff gab ihnen Halt. Das rohe Holz schnitt durch die wollenen Handschuhe in die Finger, die Knie schmerzten, während der Schlitten in schneller Fahrt über das Eis hoppelte. Hilda hatte offenbar beschlossen, daß der Trab, den Denver von allein angeschlagen hatte, die beste Gangart war, und wahrscheinlich hatte sie recht. Der Fahrtwind pfiff den beiden Frauen auf dem flachen Anhänger ins Gesicht, während Hilda sich auf Denvers Rücken
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