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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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»säbelrasselnd« ziemlich gut auf ihn passen –, aber in manchen Momenten zeigte er auch eine andere Seite, einen verletzlichen, ja gequälten Menschen.
    Aber wozu die Zeit mit Gedanken über diesen Fremden verschwenden, wo doch so viele andere Dinge überlegt werden mußten, so viele Probleme noch ungelöst waren, bei denen es um Leben oder Tod ging?
    Tja, ein Grund, Frau, sagte sie sich, ist der, daß du ein bißchen scharf bist. Du bist schon zu lange unter Männern – viel zu lange –, und diese ständige Gefahr, dieser ganze Adrenalinausstoß, macht dich langsam dünnhäutig.
    Sie blickte auf die Wölbung des Päckchens in Azadors Tasche und war stark versucht, ihn um noch eine Zigarette anzugehen. War nicht alles gut, was ihr half, sich zu entspannen? Sie fühlte sich wie ein weit über die Optimalspannung aufgezogener Tiktak. Aber die Art, wie ihr die Zigaretten wieder durch den Kopf geisterten, gefiel ihr nicht, die Suggestion, sie wären irgendwie genauso wichtig wie der Kampf darum, ihren Bruder zu retten. Sie hatte zwei Tage lang kaum ans Rauchen gedacht – sollte das jetzt wieder von vorne losgehen? Sie hatte nichts gegessen, seitdem sie in das Netzwerk eingetreten war, und das machte ihr überhaupt nicht zu schaffen.
    Unter Aufbietung ihrer ganzen Willenskraft verbannte Renie die ablenkenden Gedanken aus ihrem Kopf und wandte sich wieder den dringlichen Problemen zu.
    Statt Antworten zu bringen, hatte ihr Eintritt in das Netzwerk die Geheimnisse nur noch vertieft. Wer war dieser »Kreis«, den Kunohara erwähnt hatte – war es wirklich dieselbe Gruppe, die !Xabbu geholfen hatte, vom Okawango in die Stadt zu gehen und eine Ausbildung zu bekommen? Wenn ja, was konnte das bedeuten? Wußte !Xabbu mehr, als er verriet? Aber wenn dem so war, warum hatte er dann überhaupt zugegeben, etwas über den Kreis zu wissen? Auch dieser Gedankengang führte zu nichts. Die ganze Sache mit der Gralsbruderschaft war so weitgespannt und so verwirrend, und es gab soviel, was sie nicht wußte, daß es von irgendeinem Punkt an den Eindruck machte, alles sei bloß Gerüchtemacherei, nichts weiter als geistige Onanie und hohl drehende Paranoia. Sie sollte sich an die großen Linien halten.
    Aber was genau waren die großen Linien? Was hatten sie in Erfahrung gebracht? Überhaupt etwas? Kunohara hatte angedeutet, es gebe einen Konflikt zwischen den Gralsleuten und diesem Kreis. Aber er hatte auch behauptet, beide Seiten befänden sich im Irrtum und das System sei irgendwie mehr, als ihnen klar sei. Konnte das, zusammen mit den anderen Dingen, die sie gesehen hatten – Atascos rätselhafte Lichtwischer, die falschen Tiere und Verhaltensweisen, die im Stock gesammelt worden waren, der bizarre Zwischenfall im Thronraum der Vogelscheuche –, auf ein gestörtes System hindeuten?
    Ein jäher Gedanke durchfuhr sie wie eine lange, kalte Nadel. Und wenn nun Stephen in dieses System eingebunden ist, wenn er irgendwie darin eingesaugt worden ist, und das ganze Ding kracht zusammen – was dann? Wird er aufwachen? Oder wird er darin gefangen bleiben, wenn dieses Ding verendet, was es auch sein mag – Maschine, Universum, sonstwas?
    Ohne nachzudenken, sah sie zu !Xabbu hinüber, als könnte der kleine Mann sie vor dem grausigen Gedanken, den sie nicht laut ausgesprochen hatte, beschützen. Er hielt die Hände vor sich und wackelte mit den Fingern – machte wieder das Fadenspiel ohne Faden, begriff sie. Sein dünner Rücken war ihr zugekehrt.
    Sie brauchte diesen Mann, erkannte sie in einem plötzlichen Anfall von Zuneigung, den lieben, klugen Menschen, der sich hinter der Affengestalt verbarg. Er war ihr bester Freund auf der ganzen Welt. Höchst erstaunlich – sie kannte ihn noch kein Jahr –, aber wahr.
    Renie fummelte den Schnürsenkel aus einem Stiefel und rutschte dann näher an !Xabbu heran.
    »Hier«, sagte sie und reichte ihm das Band. »Mit einem richtigen Faden geht es besser, nicht wahr?«
    Er drehte ihn in seinen kleinen Händen. »Dein Stiefel wird nicht am Fuß bleiben. Das ist nicht sicher.« Er zog nachdenklich die Stirn kraus, dann führte er den Schnürsenkel an den Mund und biß ihn mit scharfen Zähnen durch. Er gab ihr die eine Hälfte zurück. »Ich brauche kein langes Stück. Meine Finger sind jetzt kleiner.«
    Sie lächelte und band ihren Stiefel wieder zu. »Entschuldige, daß ich dich vorhin so angefahren habe. Das war nicht richtig.«
    »Du bist meine Freundin. Du willst das Beste für mich – für uns

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