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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und sie würden ihn nie wiedersehen, erschreckte sie, denn noch niemals zuvor war einer vom Urgeschlecht gestorben. Also bat seine Klippschlieferfrau ihren Vetter, den Hasen, er möge gehen und ihn suchen.«
    Einen kurzen Moment lang tauchte der Hase im Fadengeflecht auf und sprang gleich wieder davon.
    »Der Hase rannte auf den Fußspuren des Mantis den ganzen Weg bis zu den Tsodilo Hills, denn er war ein sehr schneller Läufer, und erreichte sie bei Einbruch der Dunkelheit. Als er die Berge hinaufgestiegen war, traf er den Mantis dabei an, wie er neben dem Wasser saß, trank und sich den Staub vom Körper wusch. ›Großvater‹, sagte der Hase, ›deine Frau und deine Kinder und die ganzen übrigen ersten Menschen möchten gern wissen, wie es dir geht. Sie befürchten, daß du sterben könntest und sie dich deshalb niemals wiedersehen.‹
    Dem Mantis ging es schon viel besser, und es tat ihm leid, daß alle anderen sich Sorgen machten. ›Geh zu ihnen zurück und sage ihnen, daß sie alle töricht sind – es gibt in Wahrheit keinen Tod‹, sprach er zu dem Hasen. ›Meinst du etwa, wenn wir sterben, würde es uns ergehen wie diesem Gras?‹ Er rupfte eine Handvoll aus. ›Wir würden im Tod das Schicksal des trockenen Grases teilen und zu diesem Staub werden?‹ Er nahm den Staub in die andere Hand, warf ihn hoch in die Luft und deutete dann auf den Mond, der am Abendhimmel hing.
    Großvater Mantis hatte den Mond selbst hervorgebracht, aber das ist eine andere Geschichte.
    ›Geh und sag ihnen‹, sprach er, ›wie der Mond stirbt, dann aber wieder neu wird, so werden auch wir im Tode wieder neu werden. Deshalb sollen sie sich nicht fürchten.‹ Und mit dieser Botschaft schickte er den Hasen aus den Bergen zurück nach Hause.
    Aber der Hase war einer von denen, die sich für sehr schlau halten, und auf dem Rückweg zum Kraal von Großvater Mantis und seiner Familie dachte er bei sich: ›Der alte Mantis kann das nicht sicher wissen, denn stirbt nicht alles und wird zu Staub? Wenn ich ihnen diese törichte Botschaft ausrichte, werden sie mich für töricht halten, und ich werde nie eine Frau finden, und die anderen Leute vom Urgeschlecht werden sich von mir abwenden.‹ Als er daher den Kraal erreichte, wo die Klippschlieferfrau und alle übrigen ihn erwarteten, erzählte er ihnen: ›Großvater Mantis sagt, daß wir im Tode nicht erneuert werden wie der Mond, sondern vielmehr wie das Gras zu Staub werden.‹
    Und so erzählten alle Mitglieder der Mantisfamilie den anderen ersten Menschen weiter, was Großvater Mantis ihnen angeblich durch den Hasen hatte ausrichten lassen, und alle ersten Menschen waren von großer Furcht erfüllt und weinten und kämpften untereinander. Als nun der Mantis selbst wieder nach Hause kam, seinen Beutel aus Hartebeesthaut über einer Schulter und seinen Grabstock in der Hand, traf er alle tief traurig an. Als er erfuhr, was der Hase gesagt hatte und was jetzt von allen ersten Menschen auf Erden als Wahrheit ausgegeben wurde, war er so wütend, daß er seinen Grabstock wider den Hasen erhob und ihm mit einem Schlag die Lippe spaltete. Dann verkündete er dem Hasen, daß kein Busch und kein Gras im Veld und kein Felsen der Wüstenpfannen ihn jemals schützen und daß seine Feinde ihn immer jagen und finden würden.
    Und deshalb hat der Hase eine gespaltene Lippe.«
    Das letzte Fadenbild vibrierte einen Moment lang zwischen !Xabbus gespreizten Fingern, dann legte er die Hände zusammen und ließ es verschwinden.
    »Das war sehr schön.« Renie hätte noch mehr gesagt, aber Azador stand abrupt auf.
    »Es wird Zeit.«
     
    Renie taten langsam die Arme weh. »Das ist doch sinnlos.«
    »Es ist vielleicht sinnlos für dich«, sagte Azador in überlegenem Ton. »Halt einfach weiter die Hände an die Wand und drück.«
    Renie murmelte einen Fluch. Die Position, mit dem Gesicht zur Wand zu stehen und mit ausgebreiteten Armen gegen den kalten Beton zu drücken, erinnerte unangenehm an eine Festnahme. Azador lag zwischen ihren Füßen auf dem Bauch und preßte seinerseits gegen die Wand, die Hände parallel zu ihren, nur eben knapp über dem Fußboden. »Na schön«, sagte sie, »du hast mich überzeugt, daß du nicht mehr alle Tassen im Schrank hast. Was jetzt?«
    »Jetzt ist Dingsbums an der Reihe – du, Affenmann.« Azador verdrehte den Kopf nach !Xabbu , der ohne rechte Begeisterung zuschaute. »Such dir einen Punkt möglichst in der Mitte aus – wo die Schnittstelle eines X wäre, wenn

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