Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Protest an, aber Renie erinnerte sich plötzlich an etwas. »Martine, ich habe ihn dabei gesehen«, sie deutete auf T4b, »wie er sich seine Dornen abgewischt hat, kurz nachdem ihr hierher durchgekommen seid.«
»Solln das heißen?« bellte T4b. »Ich’n Dupper? Bei dir cräsht’s wohl! Wer mir was will, den ex ich ab!« Er hob seine gepanzerten Fäuste und stellte dabei seine Körperdornen zur Schau wie ein Kugelfisch seine Stacheln, so daß er einen wahrhaft furchterregenden Anblick bot. Renie mußte sich eingestehen, daß es ihnen ohne Orlando und seinen Barbarensim schwerfallen würde, sich gegen den Goggleboy zu verteidigen, falls es zum Kampf kommen sollte.
Martine ließ sich nicht beirren. »Dann ist T4b auch verdächtig. Wenn ihr anderen mir nicht traut, kann ja Renie Richter sein.«
»Mit mir richtert keiner rum«, warnte T4b. »Trans scännige Idee. Du nich, niemand nich …«
»Halt!« brüllte Renie, so laut sie konnte, um zu verhindern, daß die Situation außer Kontrolle geriet. »Hört auf, ihr alle!«
Durch die relative Stille, die daraufhin entstand, tönte !Xabbus leise Stimme aufrüttelnd wie ein Kanonenschuß. »Er will etwas sagen«, erklärte der Pavian.
Alle schauten hin und sahen, wie Sweet Williams schwarz geschminkte Augen sich flatternd öffneten. In diesem Augenblick erwartungsvollen Schweigens sprang unversehens eine Figur über Williams Körper und griff !Xabbu an.
Die Angreiferin war einer der temilúnischen Sims, aber zuerst konnte Renie nicht sagen, welcher, ja war sich in der Verwirrung der ersten ein oder zwei Sekunden nicht einmal sicher, daß es überhaupt ein Angriff war, da ein Überfall auf den Pavian völlig widersinnig erschien. Der ganze Vorgang schien in Zeitlupe abzulaufen, ohne begreifbare Logik, wie eine Drogenerfahrung. Erst als die dunkelhaarige Frau sich aufkniete, !Xabbu von ihrem Arm wegriß und ihn mit erstaunlicher Kraft zur Seite schleuderte, erkannte Renie, daß die Angreiferin Quan Li war.
Etwas Glänzendes war bei dem Handgemenge hingeflogen und nur einen Schritt vor Renie liegengeblieben. Es war Azadors gestohlenes Feuerzeug. Als ihr mit Verspätung klar wurde, daß es Quan Li bei dem Angriff auf den Pavian nur darum gegangen war, bückte sich Renie, hob es auf und schloß fest die Faust darum.
Quan Li rappelte sich auf und rieb sich den blutigen Arm. »Verdammt«, fauchte sie, »das kleine Mistvieh kann beißen!« Sie sah Renies zugehaltene Hand und machte einen überraschend schnellen Schritt darauf zu, doch als T4b und Florimel sich verteidigungsbereit links und rechts von Renie aufstellten, blieb Quan Li stehen. Ihre anfängliche Aggressivität verwandelte sich abrupt in ein unheimliches, träges Grinsen, das die Gesichtszüge unnatürlich breit zog. »Los, gib mir einfach das Ding, und ich verdrück mich und tu keinem was.«
Stimme und Haltung der Hongkonger Großmutter hatten sich drastisch verändert, aber noch erschreckender war die Metamorphose ihres mittlerweile vertrauten Gesichts. Eine neue Seele war in ihr zum Leben erwacht – oder endlich zum Vorschein gekommen.
!Xabbu kam angehumpelt und stellte sich neben Renies Füße. Beruhigt, daß er nicht ernstlich verletzt zu sein schien, hatte sie soeben den Mund aufgemacht, um eine Erklärung zu verlangen, als Quan Li mit ungeheurer Schnelligkeit einen Satz machte, Emily packte und in einer einzigen fließenden Bewegung, geschmeidig und tödlich wie der Stoß einer Schlange, an sich riß. Das Grinsen wurde noch breiter. »Wenn einer von euch mir noch einen Schritt näher kommt, breche ich ihr den Hals. Darauf könnt ihr Gift nehmen. Okay, und jetzt reden wir nochmal über das Feuerzeug da.«
»Emily ist ein Rep«, sagte Renie verzweifelt. »Sie ist nicht real.«
Quan Li zog eine Braue hoch. »Es wäre dir also egal, wenn ich sie vor deinen Augen zerreiße, versteh ich das recht? Wenn Knochen und Fetzen fliegen?«
»Versuch’s, und ich zerschrott dich«, knurrte T4b.
»Wow, hol’s der Deibel, Kumpel.« Das rauhe neue Timbre ließ Quan Lis künstlichen Cowboyslang noch bizarrer klingen. »Ist ja’n richtiger Patt, den wir da haben, was?«
Trotz des lässigen Tonfalls der Person machte die ganze Situation auf Renie einen bedrohlich instabilen Eindruck. Sie bemühte sich, die Panik nicht durchklingen zu lassen. »Wenn wir dir das Feuerzeug geben, versprichst du dann, sie loszulassen?«
»Mit Vergnügen. Von der Sorte gibt’s genug.«
»Beantworte mir erst ein paar Fragen. Das soll
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