Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
hielten. Er hat versucht, Quan Li umzubringen.«
»Das verstehe ich nicht.« Renie schüttelte den Kopf. Vor diesem Ansturm seltsamer neuer Mitteilungen mußte sie kapitulieren. »Wer ist alles hier? Was ist geschehen?« Diese neue Welt, die eben noch übernatürlich still gewesen war, war auf einmal das reinste Tollhaus. T4b stand mittlerweile wieder auf den Beinen und wischte seine Handdornen am Boden ab – etliche hatten dunkle Streifen. Außerdem beäugte er Emily 22813 mit Interesse, obwohl diese ihrerseits den gepanzerten Mann anschaute, als wäre er ein großes und besonders ekliges Insekt.
Quan Li und Florimel (sie waren im ersten Moment schwer auseinanderzuhalten, da Renie sie eine ganze Weile nicht gesehen hatte und beide nach wie vor sehr ähnliche temilúnische Körper hatten) kauerten neben Sweet William, dessen lange schlaffe Gestalt in dem vertrauten schwarzen Kostüm nahe der Stelle auf dem Bauch lag, wo das Gateway sich aufgetan hatte. Blut sickerte unter seiner Kapuze hervor und über sein bleiches Gesicht. Florimel riß sich Streifen von ihrer zerschlissenen Bauernbluse, um ihn zu binden; Quan Li tat das gleiche und wirkte dabei leicht verärgert, als ob ihr die Hilfe der anderen Frau nicht recht wäre und sie den Gefangenen lieber allein gefesselt hätte. Renie fragte sich, wie arg William sie wohl verletzt hatte, daß die zurückhaltende Quan Li so entschlossen und grimmig zu Werke ging.
Von Orlando oder seinem Freund Fredericks war nichts zu sehen.
!Xabbu stand auf und hielt dabei immer noch das Feuerzeug in der Hand. Er betrachtete das ganze Treiben mit einer gewissen versonnenen Entrücktheit, als befände er sich abermals in einer Trance, wenn auch diesmal in einer nicht so tiefen.
»Habt ihr uns oder haben wir euch gefunden?« fragte Martine. Sie sah ziemlich angeschlagen aus und schien sich nur mit Renies Hilfe auf den Beinen halten zu können. »Es war alles so verwirrend. Es gibt soviel zu erzählen!«
»Wir haben etwas gefunden«, erklärte Renie, »einen Schlüssel oder einen Fernauslöser, etwas in der Art. Jedenfalls ein Zugangsgerät – es sieht aus wie ein Feuerzeug, siehst du? !Xabbu hat damit einen Durchgang geöffnet. Zwei Durchgänge jetzt! Wir glauben, daß es einem der Gralsleute gehört hat, aber ein anderer Mann hat es gestohlen …« Sie merkte, daß sie vor Erleichterung und Freude einfach vor sich hin plapperte. »Ach, schon gut, ich erklär das alles später. Aber diese Sache mit William verstehe ich nicht. Er hat Quan Li angegriffen? Warum? Ist er verrückt geworden?«
»Ich fürchte, er ist ein Spion im Dienst der Gralsbruderschaft«, entgegnete Martine. »Als wir in der Stätte der Verlorenen waren – aber ich vergesse ganz, daß ihr gar nicht wißt, wo wir waren, was wir gemacht haben.« Sie schüttelte den Kopf und stieß ein kleines brüchiges Lachen aus. »Genau wie wir nicht wissen, was euch widerfahren ist! Ach, Renie, war das alles verrückt!« Sie ließ erschöpft die Schultern hängen. »Und wohin sind wir jetzt geraten? Was stellt das hier dar? Es kommt mir sehr bizarr vor.«
Emilys jäher Aufschrei erschreckte Renie und Martine so sehr, daß sie beide aufsprangen. »Ist er tot?« kreischte das Mädchen. »Da ist soviel Blut!«
Renie drehte sich um. In dem Versuch, einen Abstand zwischen sich und T4b zu bringen, wäre Emily beinahe über Sweet William gestürzt, aber das Mädchen war nicht die einzige, die einen entsetzten Eindruck machte. Die neben ihm kniende Florimel hielt die Hände hoch und starrte verdutzt auf das helle Rot, mit dem sie bis zu den Handgelenken wie angemalt waren. Auch Quan Lis Hände waren blutig; sie wich mit weit aufgerissenen Augen von William zurück.
»Er hat eine Kopfwunde«, sagte Florimel, doch sie klang unsicher. »Die bluten sehr stark …«
Renie war mit wenigen Schritten bei ihr, und mit Florimels Hilfe wälzte sie die lange Gestalt herum. Als William auf den Rücken sackte, schnappte Renie überrascht nach Luft. Sein schwarzes Kostüm war am Bauch völlig zerfetzt, und aus sämtlichen Rissen quoll Blut. Eine Pfütze sammelte sich unter ihm auf dem seltsam gefärbten Boden, und überall mischten sich andere Töne, hellblaue und grüne und eklig graue, in das Rot, das nur an den Wunden und auf dem Kleiderstoff unverändert blieb.
»Um Gottes willen.« Renie wurde vom bloßen Anblick schon schlecht. »Wie ist das passiert? Es sieht aus, als hätte ein Tier ihn in den Klauen gehabt.«
!Xabbu beugte sich über
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