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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gally und die Vogelfrau, die sich von einer Simwelt in die andere bewegen konnten, aber sich dabei in jedem Environment Gedächtnis und Ichidentität in unterschiedlichem Maße bewahrten. Was waren sie also? Gestörte Bürger? Oder weiter fortgeschrittene Reps einer neuen Art, die nicht simulationsspezifisch war?
    Da kam ihm ein Gedanke, und selbst die wohlige Wärme vom Backofen konnte nicht verhindern, daß ein eisiger Schauder ihm über den Rücken kroch.
    Gott steh mir bei, das trifft auf Paul Jonas genauso zu wie auf sie. Was macht mich so sicher, daß ich ein richtiger Mensch bin?
     
     
    > Die helle Morgensonne über Ithaka drang in fast jeden Winkel des Hauses und scheuchte den inkognito reisenden König nicht lange nach Tagesanbruch von seiner Lagerstatt neben dem Ofen hoch. Paul hatte ohnehin kein Bedürfnis, länger liegenzubleiben – das Wissen, daß die Küchenmägde virtuell waren, machte ihre giftigen Bemerkungen über seine Abgerissenheit und Schmutzigkeit auch nicht viel liebenswerter.
    Obwohl die alte Eurykleia bereits alle Hände voll damit zu tun hatte, den Wünschen der Freier und des übrigen Hauses nachzukommen, sorgte sie dafür, daß er etwas zu essen erhielt – sie hätte ihm viel mehr gebracht als das Stück Brot und den Becher mit stark verdünntem Wein, die er sich geben ließ, aber er hielt es nicht für klug, bei irgend jemand Neid oder Verdacht zu schüren. Das Behagen, mit dem er das krustige Brot kaute, brachte ihn auf die Frage, wie wohl sein wirklicher Körper ernährt wurde. Jedoch trotz des kärglichen Mahles und seines Bemühens, nicht weiter aufzufallen, berieten sich etliche der Mägde bereits flüsternd darüber, welchen von ihren Favoriten unter Penelopes Freiern sie dazu bewegen sollten, diesen dreckigen Alten aus dem Haus zu jagen. Paul wollte sich nicht mit einem der adligen Schnorrer messen – selbst wenn er die Kraft und Ausdauer bekommen haben sollte, einen dieser strotzenden Recken zu besiegen, war er doch müde und niedergeschlagen und absolut nicht zu weiteren Kämpfen aufgelegt. Um jede Konfrontation zu vermeiden, nahm er seinen Brotkanten und ging hinaus, um an der Steilküste spazierenzugehen und nachzudenken.
     
    Einerlei, was die Schöpfer dieser Simulation sonst noch im Sinn gehabt hatten, dachte Paul, das wunderbar klare, helle Licht des Mittelmeeres hatten sie jedenfalls hervorragend hingekriegt. Selbst so früh an diesem heißen Morgen sahen die Felsen an der Küste makellos weiß aus wie frisches Papier und reflektierten das Licht derart grell, daß er nicht zu dicht in ihrer Nähe stehen konnte. Obwohl er die Sonne im Rücken hatte, mußte er die Augen beschatten.
    Ich muß die Spielregeln lernen, dachte er, während er den unter ihm kreisenden Möwen zusah. Nicht bloß für Griechenland, sondern für dieses ganze Netzwerk. Ich muß sie durchschauen, oder ich werde ewig im dunkeln tappen. Die andere Erscheinungsform von Vaala, die Frau, die zuerst im Traum zu mir gesprochen hat und dann durch das Neandertalerkind, meinte, ich müsse zu einem schwarzen Berg.
    »Er reicht bis zum Himmel«, hatte sie ihm erzählt, »er verdeckt die Sterne. Dort liegen alle Antworten auf deine Fragen.« Doch als er wissen wollte, wie er dort hinkomme, hatte sie geantwortet: »Ich weiß es nicht. Doch es kann sein, daß es mir einfällt, wenn du mich findest.« Und dann hatte die Traumversion von Vaala ihn hierhergeschickt, die Frau zu suchen, die allem Anschein nach sie selbst in anderer Gestalt war – aber an dem Punkt setzte die Logik vollkommen aus. Wie konnte es sein, daß sie Bescheid wußte … und dennoch nicht Bescheid wußte? Was mochte das zu bedeuten haben? Es sei denn, seine Vermutung vom Vorabend traf zu und sie war weder ein normaler Mensch noch simuliert, sondern etwas anderes. Hatte sie vielleicht gemeint, daß sie je nach der Simulation Zugriff auf unterschiedliche Erinnerungen hatte?
    Aber in der Gestalt dieser Penelope scheint sie überhaupt nichts zu wissen, dachte er säuerlich. Sie weiß nicht mal, daß sie nur eine Rolle spielt, weiß nicht, daß sie selbst mich hierhergeschickt hat.
    Er bückte sich, hob einen flachen Stein auf und schleuderte ihn in die steife Brise vom Meer; erst Sekunden später platschte er am Fuß des schroffen Kliffs ins Wasser. Der Wind wechselte die Richtung und schubste Paul einen Schritt näher an den Abgrund heran, immer noch in sicherer Entfernung vom Rand, aber doch nahe genug, daß sich sein Unterleib bei dem

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