Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
heraus, in dem Vieh gehalten wurde, vor allem Schweine, wie es aussah. Ein ausgedehnter ummauerter Bereich war in Koben unterteilt worden, von denen jeder mehrere Dutzend Mutterschweine beherbergte. Einige hundert weitere lagen draußen vor den Koben auf dem weitläufigen Hof, faul und träge wie reiche Touristen an einem Drittweltstrand.
Der junge Mann mit den Hunden war irgendwohin verschwunden, aber ein leicht hinkender älterer Mann tauchte jetzt aus dem Schatten einer der höheren Mauern auf, die Sandale, die er gerade ausbesserte, noch in der breiten Hand haltend. Sein Bart war fast gänzlich grau, aber sein massiger Oberkörper und seine muskulösen Arme deuteten darauf hin, daß er sich die Kraft seiner jüngeren Jahre zu einem gut Teil bewahrt hatte.
»Komm, Alter«, rief er Paul zu. »Du hast Glück gehabt, daß mein Junge bei den Hunden war, als sie auf dich losgingen. Mich freut es natürlich auch – ich habe hier schon genug Scherereien, und es hätte mir Schimpf und Schande gebracht, wenn sie dich zerrissen und gefressen hätten. Komm, trink einen Wein mit mir, und dabei kannst du mir deine Geschichte erzählen.«
Der Mann und seine Worte stießen irgendeine Erinnerung in Paul an, aber er bekam sie nicht richtig zu fassen. Abermals verfluchte er sich dafür, daß er so unaufmerksam gewesen war, als er Homer gehabt hatte, erst in Cranleigh und dann noch einmal an der Universität.
Andererseits, woher hätte ich das wissen sollen? Klar, wenn mir damals jemand gesagt hätte: »Hör mal Jonas, eines Tages wirst du in einer Live-Version der Odyssee landen und dort um dein Leben kämpfen müssen«, da hätte ich die Nase wahrscheinlich ein bißchen tiefer in die Bücher gesteckt. Aber wer hätte das ahnen können?
»Sehr freundlich von dir«, sagte er zu dem Mann, in dem er den Obersauhirten vermutete, den königlichen Hoflieferanten für Schweinefleisch sozusagen. »Ich hatte nicht vor, deine Hunde wütend zu machen. Ich bin leider fremd hier.«
»Fremd? Du bist wohl mit dem Schiff gekommen, das bei der Grotte des Phorkys anlegte? Sei’s drum, nur ein Grund mehr. Es soll niemand von Eumaios sagen, er habe einem Fremden nicht die gebührende Gastfreundschaft erwiesen.«
Paul glaubte sicher, den Namen schon einmal gehört zu haben, aber das bloße Wissen, daß er ihn kennen müßte, half ihm nicht im geringsten.
Die Hütte des Sauhirten war spärlich eingerichtet, aber es war dennoch angenehm, aus der Sonne zu kommen, die schon lange vor Mittag heiß vom Himmel brannte, und keine Staubwolken mehr aufzuwirbeln. Der mit Wasser versetzte Wein, den Eumaios ihm reichte, war ebenfalls willkommen. Paul nahm einen langen Zug, dann noch einen, ehe er sich für eine Unterhaltung gerüstet fühlte.
»So sage mir denn die Wahrheit, Fremder«, begann Eumaios. »Du kommst von dem phäakischen Schiff, das gerade lange genug in der Bucht Halt machte, um sich mit frischem Wasser aus der Quelle einzudecken, ist es nicht so?«
Paul zögerte, dann nickte er. Irgendwas mit den Phäaken war in der Odyssee vorgekommen, so weit reichte seine Erinnerung noch.
»Falls dies dein erster Besuch in Ithaka ist, hast du dir einen schlechten Zeitpunkt dafür ausgesucht.« Eumaios rülpste und rieb sich den Bauch. »Zu andern Zeiten hätte ich dir ein Mastschwein vorsetzen können, aber gegenwärtig kann ich nur ein Ferkel erübrigen, und ein mageres und kleines obendrein. Die Freier, die sich im Hause meines Herrn einquartiert haben, verprassen sein Gut. Trotzdem, Bettler und Fremde kommen im Namen des Zeus, du sollst also nicht hungrig von dannen gehen.«
Der Sauhirt schwadronierte noch eine ganze Weile über dieses Thema weiter und verbreitete sich ausführlich darüber, wie lasterhaft Penelopes unerwünschte Freier seien und wie übel die Götter seinem Herrn Odysseus mitgespielt hätten. Paul erinnerte sich dunkel daran, daß er irgendwie verwandelt sein mußte – einer der Götter hatte Odysseus’ Gesicht verändert, damit er unerkannt von seinen Feinden nach Hause zurückkehren konnte –, und fragte sich, wieso die alte Eurykleia ihn hatte erkennen können, wenn der Sauhirt ihn als einen Fremden behandelte.
Nach vielleicht einer Stunde müßigen Geplauders schlachtete sein Gastgeber zwei Ferkel, zerlegte sie und briet ihr Fleisch an Spießen über dem Feuer. Trotz der Freundlichkeit des Mannes merkte Paul, wie er langsam ungeduldig und mißmutig wurde. Ich könnte hier wochenlang herumspazieren und mir von all den
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