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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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der extrem schmalen Parklücke manövriert, als sie merkte, daß sie ihr Portemonnaie und ihr Pad oben vergessen hatte. In der Garage war nicht genug Platz, um das Auto draußen stehenzulassen, ohne allen anderen den Weg zu versperren, die eventuell vorbeiwollten, und ganz gewiß würde sie es nicht auf der Straße abstellen, solange diese Typen da ihre Obdachlosenfete feierten oder sonstwas. Unter Flüchen, bei denen ihr altmodischer Vater vom Stuhl gefallen wäre, wenn er sie gehört hätte, fädelte sie mühselig den Wagen wieder in die Lücke und stampfte durch die Garage zurück zum Aufzug. Ihre Beschwingtheit hatte schon einen Dämpfer bekommen.
    Portemonnaie und Pad lagen auf der kleinen Tansu-Kommode neben der Tür. Als sie sich hineinbeugte, um sich beide zu schnappen, sah sie das Licht für »Dringende Mitteilung« auf dem Wandbildschirm blinken. Sie war schon versucht, es einfach blinken zu lassen, aber ihre Mutter war krank, und eine Nachbarin hatte am Nachmittag nach ihr sehen wollen. Sie hätte doch bestimmt schon vor Stunden angerufen, falls etwas nicht in Ordnung gewesen wäre …?
    Ärgerlich vor sich hinschimpfend trat Calliope ganz ein und ließ die Mitteilung abspielen. Es war nur ihre Halbfreundin Fenella mit einer Einladung zu einer Stehparty nächste Woche. Calliope brach den Sermon mittendrin ab – sie wußte, wie er weiterging – und verfluchte sich dafür, daß sie der Frau letztes Jahr in einem schwachen Moment ihren Dringlichkeitscode gegeben hatte, weil Fenella ihr ein Rendezvous mit einer außerhalb wohnenden Freundin hatte vermitteln wollen. Fenella war die Tochter eines Politikers und saß gern an den Schalthebeln der Macht, und sei es in dem bescheidenen Rahmen des Lesbenkunstsalons, den sie leitete: Wenn sie einlud, dann stets zu einem »Event«, wobei »Event«, wie Calliope hatte feststellen müssen, nicht mehr bedeutete als eine Party mit Fotografen, bei der die Gäste einander nicht kannten. Sie fuhr wieder nach unten.
    Irgendwo um den zwanzigsten Stock herum merkte sie, daß sie ihre Wagenschlüssel auf der Kommode vergessen hatte, wo vorher Portemonnaie und Pad gelegen hatten.
    Als der Fahrstuhl es endlich wieder nach oben geschafft hatte, war auch das letzte Fünkchen Ausgehlaune in ihr erloschen, dem unsichtbaren (aber zweifellos allgegenwärtigen und allmächtigen) Gott der Arbeit zum Opfer gefallen. Nachdem sie ein Weilchen wütende Blicke in ihrer Wohnung herumgeworfen hatte, da diese an der Verschwörung gegen ihren Freitagabend quasi als Drahtzieher beteiligt gewesen war, machte sie sich eine Schüssel Streuselauflauf mit Pseudobeeren in der Welle warm, häufte ihr letztes Vanilleeis darauf und holte sich – äußerst widerwillig – die Merapanui-Unterlagen zurück auf den Bildschirm.
     
    Auf Papier ausgedruckt hätten sämtliche vorhandenen Akten über John Wulgaru kaum fünfzig Seiten ergeben – eine geradezu verdächtig armselige Menge an Information, wenn man sich klarmachte, daß der Junge den größten Teil seines Lebens in Anstalten verbracht hatte. Mehr als die Hälfte des Materials bestand aus Doktor Danneys sporadischen Untersuchungsberichten, und ein gut Teil dieser Berichte war für Calliopes Zwecke nicht zu gebrauchen, wenig mehr als Punktzahlen diverser Verhaltenstests und trockene Bemerkungen dazu.
    Eine Durchsuchung verschiedener Datenbanken hatte noch ein paar vereinzelte Seiten erbracht, darunter einen einsamen Todesvermerk, den sie in einem entlegenen Teil des Polizeisystems gefunden und an die wenigen erhaltenen Zeugnisse seiner kriminellen Laufbahn angehängt hatte (John Wulgaru alias blabla sei im Stadtteil Redfern von einem Wagen überfahren worden, als er gerade eine Straße überqueren wollte, seine Akte sei daher zu schließen). Aber alles in allem gab es herzlich wenig, als ob jemand mit einer groben, aber ausreichenden Kenntnis staatlicher Informationssysteme sein Bestes getan hätte, jeden Nachweis seiner Existenz zu beseitigen, und das weitgehend erfolgreich.
    Der Todesvermerk erregte ihre Aufmerksamkeit, und obwohl das für den tödlichen Unfall angegebene Datum deprimierend war – wenn es stimmte, war John Wulgaru ein halbes Jahr vor dem Merapanuimord ums Leben gekommen, was ihm zweifellos ein Alibi verschaffen würde –, gab es noch etwas an dem Vermerk, das sie quälte wie ein wackelnder Zahn. Sie ließ die ganzen Dokumente vor- und zurücklaufen, bis der Flasher für die Abendnachrichten in der Statusleiste erschien, aber sie

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