Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Bildschirm.«
Seine Augen wanderten nach oben wie vorher die seines Neffen und studierten die Dokumente; er hatte sein kleines Na-und?-Zucken um den Mund, aber er las sie gründlich. »Na und?« sagte er, als er fertig war. »Ein Bericht von einem gewissen Buncie an seinen Bewährungshelfer, in dem er behauptet, er hätte unsern Johnny in Kogarah auf der Straße getroffen. Das liegt Jahre zurück, Skouros – was willst du damit?«
»Verdammt, Stan, ich wünschte, du würdest die Akten lesen. Hast du dir den Vermerk über seinen Tod nicht angeguckt?«
Sie sah kurz den Trotz in seinen Augen blitzen. »Wir haben das Ding erst heute nachmittag gekriegt, Skouros, als ich offiziell schon Feierabend hatte. Muß ich dafür um Verzeihung bitten, daß ich nicht jeden Tag vierundzwanzig Stunden auf der Matte stehe?«
»Entschuldige.« Hinter ihm auf der Couch sah sie seinen jüngeren Neffen wegen irgendeiner Sache mit Kendrick rangeln, hörte ihr prustendes Lachen. Man konnte an einem Freitagabend wirklich etwas Besseres machen als arbeiten. »Du hast recht, Stan. Tut mir leid. Soll ich bis Montag damit warten?«
Er lachte. »Nachdem du mich mitten in ›Romeo Blood: TODESPAKT SIEBEN – Die Rückkehr der Geißel‹ angerufen hast und ich deswegen die ausführliche Erklärung des Erzschurken verpaßt habe, was er alles zu tun gedenkt, um die Welt zu vernichten, und sie mir jetzt von diesen beiden Stubenhockern wiederholen lassen muß? Ist nicht drin, Skouros. Ich sag dir nur eins: Sieh zu, daß es das Opfer wert ist.«
»Okay. Gut. Also, dieser Buncie hat seinem Bewährungshelfer erzählt …«
»Wieso haben wir das eigentlich?«
»Kam bei der Suche zum Vorschein. Falls jemand Johnny-Wulgaru-Sachen gelöscht hat, ist ihm das durch die Lappen gegangen. Jedenfalls gibt Buncie an, er hätte sich am 26. September mit Johnny unterhalten, über nichts Besonderes. Buncie meinte, unser Freund wäre ihm ›schräg gekommen‹, hätte ihn von oben herab behandelt. Sowas bleibt bei einer Straßenkanaille hängen.«
»Na und? Oder hab ich das schon gesagt?«
»Hast du, Stan. Komm, reiß dich mal eine Sekunde von Romeo Blood los. Das sind zwei volle Wochen nach dem Unfalldatum in dem Todesvermerk!«
Stan zuckte mit den Achseln. »Hab ich gesehen. Aber der gute Buncie ist vermutlich vor lauter Charge komplett durchgeknallt, und die Geschichte hat er ein Jahr danach erzählt. Ich halte es für wahrscheinlicher, daß er sich im Datum geirrt hat.«
»Das dachte ich auch erst, Stanley.« Sie konnte einen leisen Triumph in der Stimme nicht unterdrücken. »Aber zur Sicherheit hab ich das nachgeprüft … und weißt du was? Buncie hat vielleicht vor lauter miesem Gear eine solche Matschbirne, daß er nicht weiß, wann er seine Mutter zuletzt gesehen hat, aber er ist erst drei Tage nach dem Datum, an dem Johnny Wulgaru tödlich verunglückt sein soll, aus dem Gefängnis gekommen. Also entweder er hat sich die ganze Sache aus völlig unerfindlichen Gründen aus den Fingern gesaugt, oder er hat mit einem Geist geredet, oder jemand hat einen falschen Todesvermerk verfaßt. Ich für mein Teil glaube nicht, daß der kleine Johnny Dread vor Polly Merapanui gestorben ist. Ich denke, er hat sie ermordet, und weißt du, was ich noch denke? Ich denke, das Schwein lebt noch.«
Stan schwieg eine ganze Weile. Sein jüngerer Neffe fragte ihn etwas, das Calliope nicht verstand, aber Stan beachtete ihn gar nicht.
»Weißt du was?« sagte er schließlich. »Du solltest dir fest vornehmen, nie wieder abends wegzugehen, Skouros. Du machst deine beste Arbeit, wenn du zuhause sitzt, dir selber leid tust und dir Eis auf den Pullover kleckerst.« Als sie an sich hinabsah und den langsam in die Fasern einsickernden weißen Schmierfleck erblickte, den sie überhaupt nicht bemerkt hatte, fuhr Stan fort: »Du bist ein cleveres Kerlchen, Partner, und das mein ich ganz ehrlich. Und jetzt werde ich mir das Ende von Romeo Blood angucken, denn ich denke, daß sie jeden Moment anfangen, einen Haufen Sachen in die Luft zu jagen.«
»Ist das alles?«
»Na ja, auch wenn ich dich noch so sehr liebe, werde ich doch nicht noch ein Wochenende durcharbeiten. Aber am Montag, denke ich, machen wir Ernst mit der Jagd auf Johnny Dark. Okay?«
Sie lächelte. Das klang gut. »Okay.«
Erst als sie aus der Leitung gegangen war, fiel ihr ein, daß sie vergessen hatte, Stan ihre Idee zu dem Namen zu erzählen.
> An einem sonnigen Tag wie diesem, wenn in der Spring Street
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