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Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nicht. Zum Schluß
erinnerte sich Großmutter nicht einmal mehr daran, daß ich Anglikaner geworden
war – und Kanadier.
    Für Großmutter waren die Meanys keine Mayflowernachkommen. Sie
waren keine Nachfahren der Gründerväter, es fand sich kein Meany zur Zeit des
John Adams. Sie stammten von späteren Einwanderern ab, von Iren aus Boston. Die
Meanys kamen von Boston, das nie zum englischen Kolonialgebiet gehört hatte,
nach New Hampshire; es gab auch Meanys in Concord, New Hampshire und in Barre,
Vermont – das waren klassischere Arbeitergegenden als Gravesend. Dort lagen die
wirklichen Granitkönigreiche von Neuengland. Meine Großmutter hielt die Arbeit
in [37]  Minen und Steinbrüchen für Kriecharbeit – sie war der Meinung, Steinbruch- und
Bergarbeiter hätten mehr mit Maulwürfen als mit Menschen gemeinsam. Was die
Meanys anbelangte: keiner der Familie war besonders klein, ausgenommen Owen.
    Und all die üblen Streiche, die wir ihm spielten, zahlte er uns nur
ein einziges Mal heim. Wir durften in einem der Baggerseen seines Vaters
schwimmen, immer nur einer, und auch nur dann, wenn wir ein dickes Seil um den
Bauch hatten. Wir schwammen eigentlich nie richtig in diesen Baggerseen, von
denen es hieß, sie seien so tief wie das Meer; sie waren so kalt wie das Meer,
selbst im Spätsommer; sie waren so schwarz und ruhig wie Seen aus Öl. Es lag
nicht an der Kälte, daß wir sofort wieder herauswollten, sobald wir
hineingesprungen waren; es lag an der unergründlichen Tiefe – wir hatten Angst
davor, was unten am Grund war, und davor, wie tief unter uns der lag.
    Owens Vater, Mr.   Meany, bestand darauf, daß wir das Seil benutzten – bestand darauf, daß wir immer nur einzeln ins Wasser
gingen. Es war eine der wenigen elterlichen Regeln aus meiner Kindheit, die
nicht gebrochen wurde, nur ein einziges Mal – von Owen. Es war eine Regel, die
keiner von uns zu brechen wagte; niemand wollte das Seil losbinden und sich
dieser unbekannten Tiefe ohne Hoffnung auf Rettung entgegenstürzen.
    Doch an einem schönen Tag im August befreite Owen sich von dem Seil,
unter Wasser, und er schwamm unter Wasser auf eine versteckte Spalte am
felsigen Ufer zu, während wir darauf warteten, daß er wieder auftauchte. Als er
das nicht tat, zogen wir am Seil. Da wir Owen für beinahe gewichtslos hielten,
glaubten wir nicht, was uns unsere Arme sagten – daß er nicht am Ende des Seils
hing. Wir glaubten nicht, daß er weg war, bis wir den dicken Knoten am Ende des
Seils in Händen hielten. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können! Das
einzige Geräusch war das des Wassers, das vom Seil herabtropfte.
    Niemand rief seinen Namen; niemand tauchte nach ihm. In [38]  diesem Wasser konnte man nichts sehen ! Ich ziehe es vor, zu glauben, daß wir
hinuntergetaucht wären , um ihn zu suchen – wenn er
uns nur ein paar Sekunden länger Zeit gelassen hätte, unseren Mut
zusammenzunehmen – doch Owen entschied, daß unsere Reaktion insgesamt zu
langsam und lieblos war. Er kam aus der Spalte am gegenüberliegenden Ufer
herausgeschwommen; flink wie ein Wasserfloh bewegte er sich über dieses
fürchterliche Loch, das ganz bestimmt bis zum Mittelpunkt der Erde reichte. Er
schwamm auf uns zu, wütender, als wir ihn jemals gesehen hatten.
    »IHR SEID MIR VIELLEICHT FREUNDE!« schrie
er. »WORAUF HABT IHR DENN GEWARTET? AUF BLASEN? DENKT
IHR, ICH WÄRE EIN FISCH ? WOLLTE NICHT WENIGSTENS JEMAND VERSUCHEN , MICH ZU
FINDEN?«
    »Du hast uns einen Schreck eingejagt, Owen«, sagte einer von uns.
Wir waren zu verstört, um uns zu verteidigen, wenn wir uns Owen gegenüber
überhaupt jemals verteidigen konnten.
    »IHR HABT MICH ERTRINKEN LASSEN!« sagte
Owen. »IHR HABT NICHT EINEN FINGER GERÜHRT! IHR HABT
EINFACH NUR ZUGESEHEN, WIE ICH ERTRUNKEN BIN! ICH BIN BEREITS TOT!« sagte
er zu uns. » MERKT EUCH: IHR
HABT MICH STERBEN LASSEN!«
    Am besten kann ich mich an die Sonntagsschule in der
Episkopalkirche erinnern. Owen und ich waren dort beide neu. Als meine Mutter
den zweiten Mann, den sie im Zug traf, heiratete,
wechselten sie und ich die Konfession; wir verließen die Kongregationalisten
und traten über zum Glauben meines Adoptivvaters – er gehörte, so sagte meine
Mutter, der Episkopalkirche an, und obwohl er mir nie als besonders frommer
Anhänger der Episkopalkirche auffiel, bestand meine Mutter darauf, daß wir
beide zu seiner Religionsgemeinschaft übertraten.
Dieser Schritt bestürzte meine Großmutter, denn wir Wheelwrights

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