Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Owen Meany

Owen Meany

Titel: Owen Meany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
weniger
entschieden ab als die Katholiken; seiner Meinung nach glaubten beide Gruppen
an weniger als er – doch die Katholiken hatten sich
viel mehr in Owens Glauben und seine Gebete
eingemischt. Er war mein bester Freund, und bei seinen besten Freunden sieht
man über vieles hinweg; doch erst als wir in derselben Sonntagsschule, in der
gleichen Kirche waren, war ich gezwungen zu akzeptieren, daß der Glaube meines
besten Freundes viel fester (wenn auch nicht immer dogmatischer) war als alles,
was ich jemals bei den Kongregationalisten oder den Episkopalen gesehen hatte.
    An die Sonntagsschule bei den Kongregationalisten kann ich mich
überhaupt nicht mehr erinnern, obwohl meine Mutter mir erzählte, daß ich dort
immer eine Menge gegessen hätte, sowohl in der Sonntagsschule als auch bei
verschiedenen Gemeindeveranstaltungen. Ich kann mich noch dunkel an Apfelsaft
und Kekse erinnern; doch äußerst lebhaft – mit der klirrenden Klarheit eines
strahlenden Wintertages – kann ich mich an die mit weißen Holzschindeln
verkleidete Kirche erinnern, an die schwarze Kirchturmuhr, und an die
Gottesdienste, die immer im ersten Stock in einer nüchternen, hellerleuchteten
Atmosphäre abgehalten wurden. Man konnte durch die hohen Fenster auf das Geäst
der riesigen Bäume hinausschauen. Im Vergleich dazu wurden die Gottesdienste in
der Episkopalkirche in einer düsteren Kelleratmosphäre abgehalten. Es war eine
steinerne Kirche, die muffig war wie viele ebenerdige oder unterirdische Räume
und überladen mit dunklen Holzverzierungen, die düster wirkte mit ihren
mattgoldenen Orgelpfeifen und grell mit den merkwürdig [42]  zusammengesetzten
Buntglasscheiben, durch die man keinen einzigen Zweig der Bäume draußen sehen
konnte.
    Wenn ich mich über die Kirche beklagte, dann über Dinge, über die
sich ein Kind normalerweise beklagt: Platzangst und Langeweile. Doch Owens
Klagen waren religiöser Natur: » DER GLAUBE EINES MENSCHEN HAT SEIN EIGENES TEMPO«, sagte Owen Meany. » DAS PROBLEM AN DER KIRCHE IST DER GOTTESDIENST. EIN
GOTTESDIENST WIRD FÜR EIN MASSENPUBLIKUM ABGEHALTEN. IMMER, WENN MIR EIN LIED
ZU GEFALLEN BEGINNT, PLUMPSEN ALLE AUF DIE KNIE ZUM BETEN. IMMER, WENN ICH DEM
GEBET GERADE FOLGEN KANN, SPRINGEN ALLE HOCH UND FANGEN AN ZU SINGEN. UND WAS
HAT DIE BLÖDE PREDIGT MIT GOTT ZU TUN? WER WEISS, WAS GOTT VON DEN AKTUELLEN EREIGNISSEN
HÄLT? WER SCHERT SICH DARUM?«
    Auf diese und ähnliche Klagen konnte ich nur reagieren, indem ich
Owen Meany hoch über meinen Kopf emporhob und ihn in der Luft hielt.
    »Du ärgerst Owen zu oft«, sagte meine Mutter immer zu mir. Doch
ich kann mich nicht daran erinnern, ihn oft geärgert zu haben, vom üblichen
Hochheben einmal abgesehen – es sei denn, Mutter meinte, daß ich nicht
erkannte, wie ernst Owen war; Scherze aller Art verletzten ihn. Immerhin hatte
er Walls History of Gravesend gelesen, ehe er zehn
war; das war keine einfache Sache, in diesem Buch konnte man nicht einfach
herumschmökern. Und er hatte auch die Bibel gelesen – natürlich nicht, ehe er
zehn war, aber er hat wirklich das ganze Ding gelesen.
    Und dann gab es das Problem mit der Gravesend Academy; diese Frage
stellte sich für jeden Jungen, der in Gravesend geboren war – damals wurden
noch keine Mädchen zugelassen. Ich war ein schlechter Schüler; und obwohl meine
Großmutter die Gebühren für diese private Schule durchaus hätte zahlen können,
mußte ich doch auf die staatliche Gravesend High-School gehen – bis [43]  meine Mutter jemanden aus dem Lehrkörper
heiratete, der mich dann adoptierte. Kinder der Lehrer – Paukerbalgen, wie wir
genannt wurden – waren automatisch zur Gravesend Academy zugelassen.
    Was für eine Erleichterung das für meine Großmutter gewesen sein
muß; es hatte ihr immer zu schaffen gemacht, daß ihre eigenen Kinder nicht zur
Gravesend Academy gehen konnten – sie hatte nur Töchter gehabt. Meine Mutter
und Tante Martha waren auf der staatlichen High-School gewesen – sie kannten
die Gravesend Academy nur durch die Jungen, mit denen sie ausgingen, obwohl
meine Tante Martha dies geschickt ausnutzte: Sie heiratete einen Jungen von der
Gravesend Academy (einen der wenigen, der nicht meine Mutter bevorzugte),
wodurch meine Vettern die Söhne eines Ehemaligen wurden, was sich günstig auf
ihre Zulassung auswirkte. (Meine Kusine hingegen profitierte nicht von dieser
Ehemaligen-Verbindung – wie sich noch zeigen wird.)
    Owen Meany hingegen war ein klassischer Kandidat

Weitere Kostenlose Bücher