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P. S. Ich töte dich

Titel: P. S. Ich töte dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Bodenfliesen waren lose oder fehlten völlig, und selbst der Spiegel über dem Waschbecken war zerbrochen. Wahrscheinlich hatte irgendein betrunkener Gast mit der Faust hineingeschlagen.
    Martin versuchte, sich wieder zu sammeln, und folgte Nadja zurück ins Schlafzimmer.
    »Tut mir leid, Liebes. Ich fürchte, ich bin völlig durcheinander«, sagte er. Sie hatte sich in ihr Bett gelegt, in dem sie sich noch vor einer halben Stunde so nahe gewesen waren. Jetzt schienen Welten zwischen ihnen zu liegen.
    »Es tut mir so leid, aber ich habe wieder …«
    … wieder diese Visionen
. Er traute sich nicht, die Worte auszusprechen, die sie noch weiter voneinander entfernen würden. Nur aus diesem Grund waren sie doch überhaupt in diesem Loch gelandet. Wegen ihrer euphorischen Hochstimmung. Wegen ihrer Freude darüber, dass mit ihm wieder alles in Ordnung war. Dass sie wieder eine gemeinsame Zukunft hatten.
    Mit Kindern.
    Ohne Stimmen.
    »Was ist passiert?« Nadja rutschte unruhig unter dem Laken hin und her, das sie bis zum Kinn hochgezogen hatte.
    »Ich hab überall diese Zettel gefunden …«
    Er zögerte, dann ging er zu seiner Seite des Bettes und suchte nach der ersten Warnung, die aus der Bibel gefallen war.
    Die ich auf den Nachttisch gelegt hatte.
    »Was für Zettel?«, fragte Nadja, während Martin auf die leere Ablage starrte.
    »Eben war er noch da«, krächzte er heiser, dann lief er zum Fensterbrett, doch auch hier war die Notiz mit dem tödlichen Befehl verschwunden, ebenso wie das Stück Klopapier. Vor der Badezimmertür lag jetzt nur noch das Handy, und das Display war dunkel.
    Hat Jonas etwa aufgelegt? Oder hab ich gar nicht mit ihm telefoniert?
    Martin spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Er blickte zur Decke hoch, als könne er dadurch ein Überlaufen verhindern.
    »O Nadja, es tut mir so leid«, schluchzte er erneut.
    »Was stand denn drauf, auf diesen Zetteln?«
    »Ach, nur dummes Zeug.« Er setzte sich auf die Bettkante und vergrub den Kopf in beide Hände.
    »Dass ich nicht einschlafen dürfte, sondern zu dir ins Bad gehen müsste, um dich …« Er stockte.
    »Um was zu tun?«, hörte er sie hinter sich fragen.
    Und dann biss sie zu.
    Die Angst.
    Die Giftschlange des Todes.
    Martin begann wieder zu zittern und suchte nach einer rationalen Erklärung, weshalb die Stimme, die er eben gehört hatte, nicht länger die von Nadja war.
    Sondern ihre
.
    Die der Kinder.
    Langsam, als könne er das Unvermeidliche dadurch hinauszögern, drehte er sich zu seiner Frau.
    »Suchst du die hier?«, fragten die Lippen in ihrem Mund, jedes Wort mit einer anderen kindlichen Stimme artikuliert.
    Das sind sie. Die Stimmen, die ich immer gehört habe.
    Deretwegen ich in Behandlung war!
    Seine Frau hatte das Laken zurückgeschlagen. Sie öffnete ihre Hand und zeigte ihm die Zettel. Sie musste sie eingesammelt haben, während er im Bad den Schwächeanfall überwunden hatte.
    »Du hättest auf Nadja hören sollen«, sagten die Stimmen aus ihrem Mund, und schlagartig wurden Martin mehrere Dinge zugleich bewusst: dass nicht er, sondern seine Frau über den Verlust des Babys wahnsinnig geworden war. Dass die Stimmen, die er gehört hatte, den verschiedenen multiplen Persönlichkeiten gehörten, in die sie nach der Tragödie zersplittert war.
    Sie haben zu mir geredet. Ich habe sie gehört. Über die Wasserrohre, wenn ich unter der Dusche stand. In meinen Träumen, wenn sie neben mir lag und mit mir sprach.
    Jetzt verstand er, dass Nadja ihn in ihren lichten Momenten mit den geschriebenen Hinweisen angefleht hatte, diese Stimmen in ihr zu töten – bevor er selbst zum Opfer würde.
    Töte sie. Geh rein, bring sie um, sonst …
    Zuletzt begriff Martin, dass er alle Zeichen falsch gedeutet hatte, dass er auf die falschen Stimmen gehört hatte. Und als er das Spiegelbild seiner Augen in dem Splitter sah, der sich nur einen Wimpernschlag später in seine Halsschlagader bohren sollte, erinnerte er sich, dass der Spiegel zu den wenigen Einrichtungsgegenständen gezählt hatte, die bei ihrer Ankunft in dieser Absteige noch intakt gewesen waren.

1
    D er Himmel war ein einziges Farbenmeer. »Oooh«, entfuhr es dem Mann; aus seinen blauen Augen schienen Funken zu sprühen.
    »Aaah«, sagte die Frau. Obwohl sie nur diese eine Silbe ausstieß, war der ironische Unterton nicht zu überhören. Ihre wuscheligen blonden Haare erstrahlten in den Farben der Raketen und ließen sie wie eine Punklady aussehen – im krassen

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