Pacific Paradise - Boone Daniels 2
Leinenanzug, ein weißes Hemd und eine Krawatte. Das einzige Zugeständnis an die potentiell schädliche Wirkung der heißen Sonnenstrahlen auf seine blasse Haut ist ein Strohhut.
Jones glaubt, ein Gentleman kleidet sich so.
Er schlendert über den Bohlenweg am Strand von Pacific Beach und beobachtet zwei Surfer, die mit Brettern unter den Armen ins Wasser gehen.
Aber Jones ist mit den Gedanken woanders, bei schöneren Dingen.
Er schwelgt in der Erinnerung an den vorangegangenen Tag, als er einem Mann langsam und bedächtig mit einem Bambusstock immer wieder auf die Schienbeine schlug. Der Mann hing an den Handgelenken gefesselt von einem Deckenrohr und schaukelte mit jedem Schlag sanft hin und her.
Ein weniger zartfühlender Befrager hätte vielleicht fester zugeschlagen, Knochen gebrochen, aber Jones war stolz auf seinen Feinsinn, seine Geduld und Kreativität. Ein gebrochenes Schienbein ist qualvoll, aber es tut nur einmal weh, wenn auch ziemlich lange. Die wiederholten Schläge verursachen wachsende Schmerzen und die Anspannung, wenn man den jeweils nächsten erwartet, ist psychisch unerträglich.
Der Mann, ein Buchhalter, hatte Jones nach nur zwanzig Schlägen alles erzählt, was er wissen wollte.
Die darauffolgenden dreihundert Hiebe hatte er ihm aus reinem Vergnügen verpasst – Jones’ Vergnügen, nicht demdes Buchhalters – und um der Unzufriedenheit ihres gemeinsamen Arbeitgebers über die aktuelle Geschäftslage Ausdruck zu verleihen. Don Iglesias, Patron des Baja Kartells, verliert nicht gerne Geld, schon gar nicht aus Dummheit, weshalb er Jones damit beauftragt hatte, die wahren Ursachen zu finden und die Verantwortlichen zu bestrafen.
Viele Monate werden ins Land ziehen, bis der Buchhalter wieder laufen können wird, ohne bei jedem Schritt zusammenzuzucken. Und Don Iglesias weiß jetzt, dass der Grund für seine Verluste nicht in Tijuana zu suchen ist, wo die Befragung stattfand, sondern hier im sonnigen San Diego.
Jetzt ist Jones auf der Suche nach einer Eisdiele, was eigentlich recht nett klingt.
06
Kugelhagel aus einer oder mehreren Kalaschnikoffs lässt die Fensterscheiben bersten. Cruz Iglesias taucht Richtung Fußboden ab. Glasscherben und Putzbrocken regnen auf ihn nieder, als er nach seiner 9mm greift und auf die Straße zurückfeuert. Wäre eigentlich nicht nötig gewesen, denn die von ihm angeheuerten Schützen stellen seine Bemühungen mit ihren Maschinengewehren in den Schatten.
Einer seiner Männer wirft sich auf seinen Chef.
»Runter von mir, Pendejo«, schnauzt ihn Iglesias an. »Du kommst sowieso zu spät. Dios mio, zum Glück, liegt mein Leben nicht in deiner Hand …«
Er rollt unter dem verschwitzten Sicario hervor und nimmt sich vor, in Zukunft von allen seinen Mitarbeitern zu verlangen, dass sie regelmäßig ein Deo benutzen. Widerlich ist das.
Keine ganze Stunde später gelangt er zu dem Schluss, dass Tijuana während der Gebietskämpfe gegen die Ortegas um den lukrativen Drogenmarkt viel zu gefährlich geworden ist.Die Zeiten sind hart – der Kuchen wird immer kleiner und lässt keinen Spielraum für Kompromisse – schon gar nicht angesichts seiner jüngsten Verluste. Drei Stunden später sitzt er in einem Wagen, der bei San Ysidro die Grenze zu den USA überquert. Das ist kein Problem – Iglesias besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft.
Der Wagen bringt ihn in ein geheimes Versteck.
Eigentlich ist San Diego gar nicht so übel – vorausgesetzt man verträgt die schlechte Küche. Auch hier laufen Geschäfte, um die er sich kümmern muss.
07
Boone will in sein Büro über dem Pacific Surf Shop und betritt den Laden, in dem Hang Twelve alle Hände voll damit zu tun hat, Boogie Boards und Finnen an Touristen zu vermieten. Hang schlägt sich gerade mit einer fünfköpfigen Familie herum, die Kids streiten sich, welche Farbe ihre Bretter haben sollen. Hang wirkt echt begeistert, d.h. überhaupt nicht. Apropos wenig begeistert: »Cheerful ist oben«, warnt er Boone.
Ben Carruthers alias »Cheerful« ist Boones Freund, ein griesgrämiger, übellauniger Millionär, der bei der Gentlemen’s Hour genau richtig wäre, würde er Wasser nicht verabscheuen. Er lebt seit dreißig Jahren in Pacific Beach und war noch nie am Strand oder im Pazifik gewesen.
»Was hast du gegen den Strand?«, fragte ihn Boone einmal.
»Ist voller Sand.«
»Strand ist Sand.«
»Eben«, antwortete Cheerful. »Und Wasser mag ich auch nicht.«
Womit sich das mit dem Strand erledigt
Weitere Kostenlose Bücher