Packeis
auf Deutsch.
»Ich begreife ja, dass wir Krieg haben«, sagte der Fahrgast mit gepresster Stimme. »Aber sogar Sie müssen zugeben, dass die Russen Menschen wie wir sind.«
»Ja, Professor Kovacs, wir sind uns sehr ähnlich. Wir haben unaussprechliche Grausamkeiten gegen ihr Volk begangen, und jetzt rächen sie sich dafür.« Er beschrieb die grauenvollen Einzelheiten des Massakers in Nemmersdorf.
»Mir tun diese Menschen unendlich leid«, sagte Kovacs mit gedämpfter Stimme, »aber die Tatsache, dass die Russen sich verhalten wie Tiere, darf noch lange nicht dazu führen, dass der Rest der Welt in Barbarei versinkt.«
Der Fahrer gab einen tiefen Seufzer von sich. »Die Front verläuft jenseits dieser Bergkette«, sagte er. »Sie können gerne mit Ihren russischen Freunden über die moralischen Werte der Menschheit diskutieren. Ich werde Sie nicht davon abhalten.«
Der Professor verkroch sich in sich selbst wie eine Auster.
Der Fahrer warf einen Blick in den Rückspiegel und kicherte verhalten. »Eine weise Entscheidung.« Er zündete sich eine Zigarette an und bückte sich in den Fußraum, um das Leuchten des Streichholzes abzuschirmen. »Ich will Ihnen die Lage erläutern. Die Rote Armee hat die Grenze überschritten und ist durch die deutsche Front gebrochen, als bestünde sie aus Papier.
Fast alle Bewohner dieses idyllischen Landstrichs sind aus ihren Häusern und von ihren Feldern geflüchtet. Unsere tapfere Armee war in heftige Rückzugsgefechte verwickelt, während sie um ihr Leben rannte. Die Russen haben eine Übermacht von zehn zu eins, was Männer und Waffen betrifft, und sie schneiden sämtliche Fluchtwege nach Westen ab, während sie eilmarschmäßig nach Berlin vordringen. Millionen von Menschen sind unterwegs zur Küste, wo die See die einzige Möglichkeit zur Flucht bietet.«
»Gott helfe uns allen«, stöhnte der Professor.
»
Er
scheint auch Ostpreußen evakuiert zu haben. Betrachten Sie sich als Glückspilz«, sagte der Fahrer fröhlich. Er setzte mit dem Wagen langsam zurück, legte dann den ersten Vorwärtsgang ein und lenkte ihn um die Leiche des Russen herum. »Sie dürfen miterleben, wie Geschichte geschrieben wird.«
Der Wagen rollte nach Westen und gelangte ins Niemandsland zwischen dem russischen Moloch und den zurückweichenden Deutschen. Der Mercedes flog regelrecht über die Landstraßen und passierte verlassene Dörfer und Bauernhöfe. Die gefrorene Landschaft wirkte völlig unwirklich, so als sei sie wie ein Teller umgekippt und von sämtlichem menschlichem Leben geleert worden. Die Reisenden hielten nur an, um aus einem Reservekanister, den der Wagen im Kofferraum mitführte, nachzutanken und um ihre Notdurft zu verrichten.
Fahrspuren erschienen im Schnee. Ein kurzes Stück weiter holte der Wagen das Ende der Nachhut ein. Der strategische Rückzug hatte sich zu einem richtigen Strom aus Militärfahrzeugen, Panzern, Soldaten und Flüchtlingen entwickelt, der sich schwerfällig durch den tiefen Schnee wälzte.
Die vom Glück begünstigten Flüchtlinge waren mit Traktoren oder Pferdegespannen unterwegs. Andere gingen zu Fuß und schoben Schubkarren, die mit persönlichen Besitztümern beladen waren, durch den Schnee. Viele hatten nur das retten können, was sie am Leibe trugen.
Der Mercedes hielt sich dicht am Straßenrand, wo seine tiefen Reifenprofile im Schnee den besten Halt fanden. Der Wagen verfolgte ungehindert seinen Kurs, bis er die Spitze des Flüchtlingstrecks passierte. Bei Tagesanbruch schleppte das mit Schlamm bespritzte Fahrzeug sich nach Gdynia wie ein verwundetes Rhinozeros, das Zuflucht in einem Dickicht sucht.
Die Deutschen hatten Gdynia im Jahr 1939 besetzt, fünfzigtausend Polen vertrieben und den geschäftigen Seehafen nach den Goten in Gotenhafen umbenannt. Der Hafen wurde in eine Marinebasis umgewandelt, vorwiegend für U-Boote. Ein Ableger der Kieler Reederei wurde dort eingerichtet, um neue U-Boote zu bauen, die mit in den umliegenden Gewässern ausgebildeten Mannschaften besetzt und ausgesandt wurden, um Schiffe der Alliierten im Atlantik zu versenken.
Unter dem Befehl von Großadmiral Dönitz war in Gdynia in Vorbereitung der Evakuierung eine ausgewählte Flottille von Schiffen zusammengezogen worden. Die Flotte bestand aus einigen der luxuriösesten deutschen Kreuzfahrtschiffe, Fischerbooten und privaten Booten. Dönitz wollte seine U-Boot-Mannschaften und anderes Marinepersonal retten, damit sie den Kampf fortsetzen konnten. Schlussendlich
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