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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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bis ins Meer und zieht als funkelnden Schweif geschmolzenes Gestein mit sich. Lava zischt, als das Meer sich zurückzieht und flüssiger Gesteinsbrei sich dampfend mit Luft und Wasser mengt. Wildes Wogen, Schäumen, Wirbeln, Spritzen – ein Feuermeer! Der Strand ist übersät von brennenden Trümmern. Überall verbrannte Bäume und Pflanzen. Überall verkohlte Leichen.
    Und dann hält die geschundene Erde für einen Augenblick den Atem an – und zerspringt in glühende Splitter. Der Vulkan birst, und die wirbelnden Wasser des Meeres dringen nach innen. Gleich dem Stamm eines gigantischen Baumes saust der Berg dem Himmelsgewölbe entgegen, wo er seine Pinienkrone entfaltet. Wie eine dünne Eiskruste bricht das Land entzwei. Die einstmals runde Berginsel bleibt als schmale Sichel zurück.
    Asche verfinstert die Welt, und die langen, die dunklen Nächte über dem alten Kontinent brechen an …
     
    Vor dem Heiligtum der Doppelaxt kniet der Priester der Großen Mutter. Vor ihm liegen zwei Kulthörner aus Kalkstein und eine kleine Statue der Schlangengöttin. In der Linken hält er die Bügelkanne, gefüllt mit geweihtem Öl. Sein Gesicht bedeckt die lederne Stiermaske. Er erhebt seine Hände und beginnt leise zu beten.
    Schon hat sich der Himmel über Kreta dunkel gefärbt. Ein dichter Regen aus rotglühendem Bimsstein prasselt auf die Insel nieder. Auf dem Meer drängt sich schwimmendes Gestein in wulstigen Brocken. Rasch und immer rascher treibt es südwärts und ballt sich zu festen Landbrücken zusammen. Wie aus blankem Metall gehämmert droht die Stirnwand der Flut. Ihr Rauschen erfüllt Himmel und Erde. Ein Wald wirbelnder Wasserschäfte, von Blitzketten hell erleuchtet, rast ihr voran.
    Die Flut, die große Flut!
    Sie kommt! Er spürt ihren gewaltigen Sog in seinem Blut. Er kann sehen, wie sie salzig bis weit ins Land hineinbricht. Wie sie sich ohne Unterschied über Häuser, Stallungen, Felder und Leiber ergießt. Schwarzer Regen rauscht nieder. Grollend erhebt sich in kurzen, kräftigen Stößen die Erde.
    Die Wand vor ihm bricht auf. Rauch und Schwefeldämpfe erfüllen den Raum. Hinter der Ledermaske wird ihm der Atem knapp. Ascheteilchen dringen in die schmalen Öffnungen für Mund und Nase.
    Er röchelt, ringt nach Luft. Mit der Rechten löst er den Riemen, der die Maske am Hinterkopf hält, und füllt tief seine Lungen. Erneut hebt er sein Gesicht zum Schrein. Und wieder setzt sein inbrünstiges Gebet ein …
    Aber er hat ja meine Augen … mein Gesicht … er ist ich … das bin ich … ich …
     
    Dunkel, stockdunkel. Schweißgebadet erwachte er, meinte noch den bitteren Geschmack des Rauches auf der Zunge zu schmekken. Im ersten Augenblick wußte er nicht, wo er war.
    Benommen richtete er sich auf und strich das feuchte Haar aus der Stirn. Still war es im Raum, er hörte nur das schnelle Schlagen seines Herzens und die Musik der Zikaden, die durch das geöffnete Fenster zu ihm drang. Seine Hände berührten seinen Körper, dann sein Bett.
    Das war nicht das harte Lager eines Hirten!
    Schlagartig war er wach und wußte, vor er sich befand: im Palast der blauen Delphine. Er war nicht mehr Astro, der Hirte, sondern Asterios, der Bastard der Königin, der die Stiermaske trug.

Erstes Buch

Die Karawane der Träume
    Der Duft von Kiefern-, Zedern- und Zypressenstämmen erfüllte die Kymbe, die auf ihrer Fahrt nach Ägypten durch das morgendliche Meer glitt. Nach der langen Flaute zu Beginn der Reise, die die Mannschaft zum Rudern gezwungen und den Steuermann zu Flüchen veranlaßt hatte, war der Wind endlich umgeschlagen und blies beständig aus Nordwest.
    Sofort hatten einige Männer den hölzernen Mast aus seiner Sicherung auf dem Schiffsboden befreit und ihn aufgerichtet. Nun knatterte das Segel aus Spartgrasgeflecht in der auffrischenden Brise.
    Dunstschleier hingen noch über den schroffen Felsen. Ganz allmählich hatte sich die Farbe der Berge verändert, war von dem beinernen Weiß der Karste im Westen der Insel zu rauchigem, manchmal fast bläulich schimmerndem Grau übergegangen. Bald schon würden auf den Höhenketten die Küstenfeuer zu sehen sein, die den Schiffen die Einfahrt in die geschützten Hafenbuchten des Südens wiesen.
    Die Frau im dunklen Umhang aber, schon seit dem ersten Licht der Morgendämmerung unruhig, war in Gedanken immer noch in den Weißen Bergen, die ihr zur Heimat geworden waren. An den Hängen des hellen Kalksteinmassivs, weitab vom mächtigen Hof zu Knossos, hatte sie

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