Paloma
der Mutter deren Rolle übernommen. Notgedrungen, da sie auch deren Arbeit übernehmen musste.
Eines Tages, Paloma und Philipp hatten längst die ganze Umgebung des Hofes auf ihren Spaziergängen erkundet, fragte er Salvador, ob er etwas dagegen habe, wenn er mit Paloma einen längeren Ausflug unternehme.
Sie saßen rauchend unter dem Sonnendach an der Cala Dragonera, Salvador hatte eben seinen Mittagsschlaf beendet. Ruhig zog er an seiner Zigarette und sagte dann: „Wieso fragst du, ob ich etwas dagegen habe, du tust es doch längst.“
Philipp schwieg betroffen. Salvador hatte natürlich Recht. Deshalb erkundigte sich Philipp, warum Salvador ihm nie gesagt hatte, dass er es nicht richtig fand, wenn er jeden Sonntag mit Paloma zusammen war.
„Ach, was weiß ich denn, was richtig ist oder nicht? Die Zeiten ändern sich. Was gestern falsch war, ist heute vielleicht richtig. Nimm mal zum Beispiel meinen Nachbar, Santiago Torres. Du kennst ihn, er war mal hier. Letztes Jahr hat er ein paar Zimmer an sein Haus angebaut und hat sie an Fremde vermietet. Und er hat ihnen auch zu essen gegeben und weil das alles viel Arbeit war, konnte er sich nicht um seine Feigenbäume kümmern. Und als die Bäume dann voll mit reifen Früchten waren, sind eine Menge Äste gebrochen, weil sie nicht ordentlich abgestützt waren und jetzt trocknen die Bäume allmählich aus. Bäume, die vielleicht hundert Jahre oder noch älter sind, sterben jetzt einfach. Und Santiago wird bald keine Feigen mehr von seinen Bäumen essen können, aber hat jetzt genug Geld, er kann sich andere Dinge kaufen. Von Feigen allein kann sowieso niemand leben. Sag mir jetzt, hat er das Falsche getan oder nicht?“
Philipp wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Ihm war klar, dass manches nicht so einfach war für die Leute auf Magali. Vor allem für die Älteren. Was sich im Moment hier abspielte, war ja genau genommen nichts anderes, als ob die Insel vom finstersten Mittelalter direkt ins zwanzigste Jahrhundert katapultiert würde. Und vermutlich ging so ein Schritt nie ganz ohne Verletzungen oder Irritationen ab.
Während der folgenden Tage musste Philipp immer wieder an den Ausflug denken, den er für den kommenden Sonntag plante und er beschloss, nicht nur Paloma sondern auch Salvador einzuladen.
Er brachte alles, was er noch in seinem Auto hatte, bei Desiree im Stall unter, Werkzeuge, ein schönes altes Porzellanwaschbecken vom Flohmarkt, Decken, Kochtöpfe, Geschirr und ähnliches. Ursprünglich hatte er an einen Ausflug zum Hafen oder auf die Mola, dem höchsten Punkt der Insel gedacht, wohin Paloma und Salvador der Entfernung wegen wohl eher selten kamen und war deshalb überrascht, als Salvador vorschlug, zur Baustelle an der Cala des Mortes zu fahren. Und auch Paloma war dafür. Was letzten Endes auch nicht verwunderlich war. Sie hatten beide zwar viel darüber gehört und wollten nun wissen, was dort wirklich vor sich ging.
Nach dem Essen fuhren sie los, Paloma trug eine weiße Bluse und einen weiten Rock mit feinen dunkelblauen Streifen. Und Salvador war in seinem Sonntagshemd.
Obwohl an der Cala des Mortes heute nicht gearbeitet wurde, standen doch eine Menge Autos dort. Und bald stellte sich heraus, dass sie nicht die einzigen waren, die einen Sonntagsausflug hierher machten. Ganze Großfamilien mit Großmutter und Säugling, Tante und Onkel wanderten durch das riesige unüberschaubare Labyrinth aus unverputzten Mauern und leeren Tür- und Fensteröffnungen. Von Salvador, der mit einigen Leuten sprach, erfuhr Philipp, dass es hauptsächlich Leute waren, die dort arbeiteten und ihren Familien die Fortschritte an der Baustelle vorführten.
„Sie sind jeden Sonntag da, stell dir vor“, meinte Salvador tief beeindruckt. Aufgeregt zählte er die Zimmer, durch die sie kamen, verrechnete sich und lief wieder zurück und begann von neuem. Er wollte nachprüfen, ob es stimmte, was die Leute sagten. Dass hier einmal fünfhundert Touristen untergebracht werden sollten. Paloma dagegen war eher schweigsam.
„Das gefällt dir hier nicht so sehr, oder?“, fragte Philipp sie.
„Doch, schon.“
„Aber?“
„Es gefällt mir. Aber ich möchte hier nicht wohnen, du etwa?“
Philipp lachte. „Um Gotteswillen!“
„Aber ich wollte auch nicht in San Lorenzo wohnen. Ich will nirgends wohnen, wo die Häuser dicht beieinander stehen.“
„Dann solltest du erst mal sehen, wie die Leute in einer Großstadt wohnen.“
„Mich würde was ganz anderes
Weitere Kostenlose Bücher