Paloma
überrascht, ja regelrecht verunsichert, ob sie nicht erst ihren Vater um Erlaubnis fragen müsse, aber Paloma warf den Kopf in den Nacken und meinte stolz: „Ich bin alt genug, das kann ich allein entscheiden.“
„Wie alt bist du denn, um das allein zu entscheiden?“, erkundigte sich Philipp.
„Siebzehn und du?“
„Dreiundzwanzig.“
Nachdem die letzten Teller und Kochtöpfe abgewaschen waren und zum Trocknen auf der Verandamauer lagen, gingen sie los. Nicht vorne über den Camino sondern hinten am Corral vorbei, wo die beiden schwarzweiß gefleckten Schweine neugierig ihre Rüssel durch das Lattentor streckten und stiegen dann über die hintere Hofmauer. Paloma gab die Richtung an.
Philipp war bereits einige Male am Cap gewesen, aber noch nie zu Fuß. Selbst damals auf seiner Mobylette war es den Camino entlang eine ziemliche Strecke gewesen. Aber Paloma führte ihn querfeldein, eine Mauer nach der anderen übersteigend, was sie sehr viel geschickter tat als er mit seinen längeren Beinen und so tauchte schon knapp eine halbe Stunde später der alte Wehrturm in der Ferne auf, das Wahrzeichen vom Cap Berberia. Ein Überbleibsel noch aus jener Zeit, als die Insel von Piraten und Schiffen mit maurischer Besatzung heimgesucht worden war.
Allmählich wurden die Mauern spärlicher und schließlich gab es gar keine mehr, ebenso wenig wie Ackerboden. Nur noch steinigen, kahlen Boden, der sich eben wie ein Hochplateau bis zum Wasser erstreckte. Sie gingen bis an sein Ende und blickten hinunter auf das klare, grünlich schimmernde Wasser, das gut zwanzig Meter unter ihnen lag.
Anschließend gingen sie in Richtung des verwitterten alten Wehrturms. Paloma so leichtfüßig, als ob sie unter den dünnen Bastsohlen ihrer Schuhe die Steine unter ihren Füßen nicht spürte. Ein Schwarm aufgeschreckter Möwen kreischte über ihnen.
Während ihrer Wanderung hatten sie nicht viel miteinander geredet, Paloma hatte eher einsilbig Fragen beantwortet. Aber jetzt, am Ziel angekommen, änderte sich das.
„Ich weiß nicht, ob wir die Schweine wirklich sehen“, sagte sie. „Aber halt die Augen offen, ich hab sie schon ein paar Mal gesehen.“
Sie setzten sich im Schatten des Wehrturms auf einen mächtigen Felsquader, der auf seiner Nordseite aus der Mauer gebrochen war. Philipp zündete sich eine Zigarette an, während Paloma mit den Augen das Gelände absuchte.
„Kommst du oft hierher?“, fragte Philipp.
„Früher schon. Als meine Mutter noch lebte und als mein Bruder noch da war.“
„Wie seid ihr hergekommen? Zu Fuß oder mit dem Maultierkarren?“
„Immer zu Fuß. Und wir haben alles Mögliche zum Essen mitgenommen und haben hier draußen gegessen. Und dann hat sich mein Vater auf die Steine gelegt und hat ein bisschen geschlafen. Und einmal“, sie lachte hinter vorgehaltener Hand. „Einmal ist der Himmel plötzlich ganz schwarz geworden, aber meine Mutter hat den Vater nicht aufwecken wollen und dann war es zu spät. Wir sind fürchterlich gerannt, aber wir haben trotzdem noch viel Regen abgekriegt. Wir waren klatschnass und stell dir vor, bei uns auf dem Hof war alles staubtrocken, kein einziger Tropfen war runtergekommen. Verrückt, was?“
Philipp nickte. Er war froh, dass Paloma mit ihm hierher gegangen war und auch, dass sie begonnen hatte, mit ihm zu reden. Dass sie ganz und gar nicht mehr das kleine Mädchen wie noch vor drei Jahren war, das schweigend zuhörte, wenn er mit ihrem Vater redete. Aber sie wirkte immer noch sehr jung, wie sie dasaß, den weiten Rock ihres schieferfarbenen Baumwollkleides mit beiden Händen um die Knie zusammen gerafft.
Und plötzlich zupfte sie ihn am Arm. „Dort drüben! Schau!“ Philipps Blick folgte Palomas ausgestrecktem Arm, der in Richtung Landinneres deutete und dann entdeckte er zehn, zwölf grauschwarze, magere Tiere mit dünnen Beinen.
„Was um Himmelswillen ist das?“
„Die wilden Schweine, siehst du das nicht?“
Das waren Schweine? Mit den fetten Schweinen, die Salvador in seinem Corral hielt, hatten sie jedenfalls keine Ähnlichkeit.
„Wovon um Himmelswillen leben die denn? Hier wächst doch nichts. Wo kriegen sie Wasser her?“
„Oh, das stellt ihnen der Mann hin, dem sie gehören. Und sie fressen das Moos und die Flechten auf den Steinen.“
Philipp sah nur nackte, verwitterte Steine. Da und dort das Gerippe eines vertrockneten Buschs, den der Wind vor sich hertrieb.
„Aber ich denke, sie sind wild.“
„Sind sie auch. Sie leben ja
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