Paloma
einmal die Woche. Aber noch immer war kein Brief von Philipp gekommen. Es gab Tage, wo sie daran zweifelte, er würde ihr jemals wieder schreiben. An anderen dagegen suchte und fand sie Erklärungen, wieso sie so lange nichts von ihm gehört hatte. Am wahrscheinlichsten erschien ihr, dass er keine Zeit zum Briefeschreiben hatte. Dass er von morgens bis abends über seinen Büchern saß, um so schnell wie möglich mit seinem Studium fertig zu werden, um auf die Insel zurückkehren zu können. Und wenn schon nicht ihretwegen, so doch wegen seines Stück Landes unten an der Cala Dragonera und wegen des Hauses, das er sich bauen wollte. Hauptsache, Philipp kam wieder. Das genügte ihr schon.
Es dauerte etwa vier Wochen, ehe der Postbeamte endlich einen Brief für Paloma aus einem der Fächer zog, in denen, alphabetisch geordnet, die eingehenden Briefe aufbewahrt wurden. Überrascht holte sie tief Luft, denn sie hatte schon nicht mehr damit gerechnet. Kaum hielt sie den Brief jedoch in der Hand, fielen Freude und Erleichterung wieder in sich zusammen. Fassungslos blickte sie auf das Kuvert. Was sie da sah, war ihre eigene Handschrift. Und der Brief war ihr eigener Brief, den sie einige Wochen zuvor an Philipp geschrieben hatte. Vorne auf dem Kuvert waren ein paar Worte aufgestempelt, deutlich lesbar, mit denen sie jedoch nichts anfangen konnte, weil sie in einer fremden Sprache, in Philipps Sprache, waren.
Der Postbeamte sah Paloma an, dass etwas nicht stimmte, aber ehe er sie noch fragen konnte, hatte Paloma den Brief auch schon unter ihr Umschlagtuch geschoben und die Poststelle verlassen.
Während der folgenden Tage studierte Paloma immer wieder den gestempelten Aufdruck auf dem Kuvert und suchte nach einer Erklärung dafür. Und in manchen Nächten biss sie vor Qual in ihr Kopfkissen, um nicht laut aufzuschreien. Denn sie konnte sich die Rücksendung ihres Briefes nur damit erklären, dass Philipp nichts mehr von ihr wissen wollte. Aber es gab auch Momente, in denen sie sich an seine Worte beim Abschied erinnerte und an sein Versprechen, an sie zu denken und so bald wie möglich wieder zu ihr zurück zu kehren.
Trotzdem quälte die ganze Geschichte Paloma sehr. Die unverständlichen Worte auf dem Kuvert kannte sie bald auswendig, so oft nahm sie es in die Hand. Was ihr aber nicht weiter half. Schließlich begann Paloma darüber nachzudenken, ob es wohl jemand gäbe, der ihr helfen konnte. Der ihr die Worte auf dem Kuvert erklären könnte. Ana oder Ernesto oder die alte Antonia kamen dafür nicht in Frage, die konnten alle eben so wenig deutsch wie sie selber. Nach und nach erweiterte sie den Personenkreis, der eventuell in Frage kommen könnte. Sie spielte sogar mit dem Gedanken, die Bar El Centro aufzusuchen, wo manchmal Ausländer saßen. Aber sie wusste nur zu gut, sie würde es niemals schaffen, irgendwelche Fremden anzusprechen.
Irgendwann fiel ihr dann ein, dass El Profesor, ihr früherer Lehrer, Bücher in den verschiedensten Sprachen in seinem Schrank hatte, mit denen sich vielleicht feststellen ließe, was die aufgestempelten Worte bedeuteten. Je mehr Paloma darüber nachdachte, umso eher erschien ihr das als einziger Ausweg. Trotzdem fand sie tagelang nicht den Mut, sich auf den Weg zu ihrer ehemaligen Schule zu machen. Vor allem, weil sie befürchtete, El Profesor könnte Fragen wegen des Briefes stellen.
Einige Tage danach machte sie sich dann aber kurzentschlossen auf den Weg. Sie konnte die Ungewissheit, die diese rätselhaften Worte über sie gebracht hatten, einfach nicht länger ertragen.
Es war kurz vor vier, als sie an der Schule eintraf. Einem einstöckigen, kleinen Gebäude neben einem kahlen Stück Land mit fest getretenem Boden, das die Schuljungen als Fußballplatz benützten. Sie war zu früh da, der Unterricht war noch nicht beendet. Sie hörte einen monotonen Singsang von Kinderstimmen, die gemeinsam etwas aufsagten oder lasen. Geduldig wartend stand sie da, aber es war einer jener Wintertage, an denen der Tramontana über die Insel fegte, und ihr wurde kalt. Sie zog sich ihr Tuch eng um die Schultern und suchte Schutz hinter dem hohen Siempre-verde-Gebüsch vor dem Schulhaus. Und drückte sich noch tiefer hinein, als endlich die Tür geöffnet wurde und eine Meute Kinder heraus stürmte.
Sie wartete, bis das Kindergeschrei an ihr vorüber war und näherte sich dann zögernd dem Haus, aber im gleichen Moment trat ein Mann aus der Tür. Er blieb stehen, als er sie sah.
„Willst du
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