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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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Deutsch gelernt, Medizin studiert, einen Biologiestudenten kennengelernt und geheiratet, mit ihm Huan bekommen und gleichzeitig angefangen, in Hamburg als Neurochirurgin zu arbeiten. Inzwischen war sie Oberärztin in der Eppendorfer Universitätsklinik. Huan stellte sich seine Mutter manchmal vor, wie sie Gehirne operierte und anderen Menschen ins gräulich-weiße Innere ihrer Köpfe blickte. Kein Wunder, dass man sie nicht anlügen konnte.
    »Nein, wirklich, alles in Ordnung«, nuschelte Huan auf Deutsch, denn auf Mandarin konnte er nicht lügen. Aber auch das wusste seine Mutter natürlich. Sie ließ den Blick nicht von ihm und trank langsam ihren Kaffee. Gefährlich langsam.
    »Hast du wieder was... gesehen ?«
    Huan wusste, worauf seine Mutter anspielte. Seine Vorahnungen. »... nein«, log er.
    Seit er denken und fühlen konnte, gab es diese Momente, in denen er schlagartig Dinge erkannte, die sehr bald geschehen würden. Und immer auch geschahen. Kleine Dinge. Ein roter Kater, der sich in einem Maschendrahtzaun verfing. Ein Blitz, der ins Nachbarhaus einschlug. Ein Kinderwagen, der plötzlich davonrollte. Kleine, alltägliche Dinge, bei denen man helfen und sich beliebt machen konnte. Jetzt, mit fünfzehn, galt Huan in der Nachbarschaft als der gut erzogene und hilfsbereite Halbchinese, auf den man sich verlassen konnte. Der vielleicht manchmal etwas unheimliche hilfsbereite Halbchinese, der so verblüffend oft zur Stelle war, wenn etwas passierte.
    Verdächtig oft. Beunruhigend oft.
    Aber auch an das heimliche Misstrauen seiner Umgebung hatte Huan sich inzwischen gewöhnt. Er sprach niemals über seine kleinen Vorahnungen, noch nicht einmal mehr mit seinen Eltern. Als er klein war, hatte ihm das nur Schwierigkeiten eingetragen. Seine Mutter war mit ihm von einem Psychologen zum anderen gerannt, so lange, bis Huan irgendwann einfach aufgehört hatte, über seine Vorahnungen zu sprechen.
    Und dabei wünschte sich Huan nichts sehnlicher, als endlich mit jemand darüber reden zu können. Jemand, der ihn nicht gleich für verrückt hielt.
    Vielleicht ein Mädchen. Vielleicht Jana.
    Aber Jana war so unerreichbar geworden wie ein intergalaktischer Sternnebel. Hatte sich von ihm wegkatapultiert mit einer einzigen SMS, noch bevor sie es getan hatten. Jetzt ging sie mit Christoph Glasing und hatte es vermutlich längst mit ihm getan. Eine SMS und das war's. Huan wurde immer noch schlecht, wenn er an den Augenblick dachte. Eine Woche war das jetzt her und der Schmerz hatte noch kein bisschen nachgelassen.
    Seine Mutter forschte in Huans Gesicht nach den verräterischen Spuren der Lüge. Nichts hasste sie mehr als Lügen. Lügen waren schlimmer als Drogen. Lügen waren der Anfang vom Ende.
    »Gibt es irgendein Problem in der Schule? Möchtest du darüber reden?«
    »Nein.«
    Huan langte nach einem herumliegenden Werbeprospekt und einem Kugelschreiber auf dem Tisch und begann, darauf herumzukritzeln, um seine Mutter nicht ansehen zu müssen. Mit der anderen Hand schaufelte er sich weiter Cornflakes mit Zucker aus einer Schale in den Mund. Ohne Milch, denn wie viele Asiaten vertrug er Milchprodukte schlecht. Käse hielt er für das Widerlichste überhaupt.
    »Gibt es kein Problem oder möchtest du nicht darüber reden?«
    »Gibt kein Problem!«
    »Sprich Mandarin mit mir! Schau mich an!«
    Seine Mutter war eine schöne Frau, soweit Huan das beurteilen konnte. Sehr groß für eine Chinesin und mit einer strengen, königlichen Anmut, die Begehren bei Männern weckte, wie Huan kürzlich voller Eifersucht bemerkt hatte. Obwohl sie leise sprach, wurde sie niemals überhört. Huan hatte erlebt, wie sie einmal einen Assistenzarzt wegen eines vertauschten Krankenblattes aber so was von zusammengefaltet hatte. Sie war nicht laut geworden, aber mit ihrer Stimme hätte man Papier schneiden können.
    Huan zwang sich, aufzublicken und ihr in die Augen zu sehen.
    »Wenn es irgendetwas gibt, was dich bedrückt, egal was -dann würdest du es mir doch erzählen, oder?«
    Huan schluckte. »... klar.« Er erwartete nicht einmal, dass sie ihm glaubte.
    »Egal was du tust, Papa und ich lieben dich, und wir werden dich immer lieben.«
    »Mama!«
    Unvermittelt schaltete sie um auf Deutsch. »Ich meine es so. Du darfst das nie vergessen, hörst du? Nie! Wir lieben dich mehr als alles andere auf der Welt.«
    »Ich vergess es nicht.«
    Leider wieder gelogen.
    Denn Huan glaubte nicht, dass die Liebe seiner Eltern zu ihm so unerschütterlich feststand

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