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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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wie eine Kompassnadel auf Nord. Im Gegenteil hielt er die Liebe seiner Eltern für etwas sehr Zerbrechliches. Zerreißbar wie Papier. Und das lag daran, dass er schon sein ganzes Leben das Gefühl hatte, etwas stehe zwischen ihm und seinen Eltern.
    Ein Schatten. Ein Geheimnis, uralt. Das womöglich noch nicht einmal seine Eltern kannten.
    Seit er denken und fühlen konnte, war da ETWAS gewesen, für das Huan keine Worte fand. Er wusste nur, was immer ES auch war - ES wollte zurück und konnte nicht. In einer fernen Zeit hatte ES zu ihm gehört und war ihm entrissen worden. Und klemmte nun fest, gefangen irgendwo zwischen Raum und Zeit. Und rief ihn. Immer wieder.
    »Was malst du denn da?«, fragte seine Mutter.
    »Nichts. Nur so.«
    »Und das da?« Sie deutete auf ein Element in dem Gekritzel, das sich auffällig oft wiederholte. Jetzt fiel es auch Huan auf.
    »Ist das ein Symbol oder so etwas?« »Keine Ahnung.«
    »Sieht interessant aus. Wie ein chinesisches Schriftzeichen. Wo hast du das gesehen?«
    »Nirgendwo. Ich hab's nur so hingemalt.« »Hast du es geträumt?«
    Huan schob die Zeichnungen weg und beugte sich noch tiefer über seine Cornflakes. »Nein.« »Morgen machen wir ein EEG.« »Mama! Ich bin kein Psycho!«
    »Das behauptet auch niemand. Ich will nur ausschließen, dass du wieder diese epileptischen Anfälle kriegst.«
    Huan stöhnte und wandte sich ab. Er hatte keine Anfälle. Er träumte nur.
    In letzter Zeit waren diese Träume allerdings intensiver und auch dunkler geworden. Träume von gigantischen Tintenfischen, die an Land krochen, um die Erde zu erobern. Manchmal träumte er neuerdings auch von einem Mädchen. Er konnte sie nie genau erkennen, aber ganz sicher war es nicht Jana, denn das Mädchen hatte asiatische Augen wie er. Sie war klein und kräftig, obwohl sie zart wirkte. Huan hatte dieses Mädchen noch nie gesehen. In seinen Träumen tauchte sie irgendwo zwischen den Kalmaren auf und blickte Huan an mit einer Mischung aus Neugier, Misstrauen und Feindseligkeit. Manchmal sang sie auch in einer unbekannten Sprache. Eine Sprache, die ihn an keine Sprache der Welt erinnerte. Ein seltsames Lied ohne Strophen oder eindeutige Melodie. Ein monotoner Singsang, ein rätselhafter Strom von Worten ohne Anfang, ohne Ende. Huan hatte einmal versucht, das Lied tagsüber nachzusingen. Allerdings hatte Jana ihn zufällig dabei beobachtet und ziemlich befremdet reagiert. Mädchen standen nicht auf Psychos, das hatte Huan inzwischen verstanden, also hörte er mit dem Lied auf. Es ging ihm dennoch nicht aus dem Kopf, so fremdartig es auch klang.
    In letzter Zeit träumte er auch immer öfter von dunklen Wassern. Vom Ertrinken. Was sicher auch damit zusammenhing, dass er nicht schwimmen konnte. Huan träumte in letzter Zeit immer öfter, dass er sterben würde. Schon sehr bald.
    Seltsamerweise ließ ihn das kalt.
    Nicht so das Verschwinden des roten Katers. Das hatte er nicht vorausgesehen und es beunruhigte ihn mehr als alles andere. Er hatte den Kater vor zwei Jahren als ganz junges Kätzchen gefunden, eingeklemmt in dem Maschendrahtzaun, der das Grundstück seiner Eltern begrenzte. Er hatte den Kater nur gefunden, weil er so jämmerlich und durchdringend gemaunzt hatte. Aber als Huan sich zu ihm durch das dornige Gestrüpp vor dem Zaun vorgearbeitet hatte und nach ihm greifen wollte, hatte das rote Fellknäuel ihn angefaucht wie ein tasmanischer Teufel und ihm in die Hand gebissen. Huan hatte ihn dennoch befreien können und ins Haus gebracht. Und seine Mutter, die gerade dabei gewesen war, ein scharfes Currygericht zu kochen, hatte dem Kater seinen Namen gegeben: Kurkuma. Weil sein Fell die Farbe dieses gelborangeroten Gewürzes hatte.
    Kurkuma, der rote Kater.
    Kurkuma, der sich abends auf Huans Brust legte und dort einschlief, ein kleines Gewicht, ein kleines Glück.
    Kurkuma, der sich morgens auf Huans Gesicht oder auf seine volle Blase legte, damit er endlich aufwachte.
    Kurkuma, der Spinner.
    Kurkuma, der Kämpfer.
    Kurkuma, der Pisser.
    Kurkuma, der Vielfraß.
    Kurkuma, der einzige Freund.
    »Sag mal, hast du Kurkuma heute schon gesehen?«, fragte seine Mutter. »Er war heute noch gar nicht am Fressnapf.«
    Huan schüttelte nur den Kopf. Er hatte bereits beschlossen, an diesem Tag nicht zur Schule zu gehen und stattdessen den Kater zu suchen.
    Huan lebte mit seinen Eltern in einer großen, schönen Hamburger Altbauwohnung mit Garten in einer weiß getünchten Villa nahe der Außenalster. Die

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