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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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anzugreifen, schien sie eher für rätselhafte und wunderbare Wesen zu halten, denen man nur mit Ehrfurcht begegnen konnte. Aber auch bei den Enten Fehlanzeige. Huan begann zu fürchten, dass Kurkuma sich auf ein Nachbargrundstück gewagt und dort verirrt oder verletzt hatte. Möglicherweise war er von einem der großen Hunde angegriffen worden oder hatte sich sogar bis zur Straße vorgewagt und war angefahren worden. Huan suchte sämtliche Straßen in der Umgebung links und rechts nach einem reglosen roten Katzenkörper ab, aber zu seiner Erleichterung fand er nichts.
    Der Kater blieb verschwunden. Huan fragte Nachbarn, die Müllmänner, den Postboten und Passanten, aber niemand hatte einen roten Kater gesehen. Gegen Mittag begann Huan zu ahnen, dass der Kater möglicherweise nicht mehr auftauchen würde. Und diese Vorstellung war unerträglicher als jede SMS von Jana.
    Huan hatte seine Suche inzwischen auf das gesamte Ufer der Außenalster ausgedehnt. Er glaubte zwar nicht, dass Kurkuma sich wirklich so weit von zu Hause entfernt hatte, aber er wusste auch nicht, wo er sonst noch suchen sollte. Gegen Mittag wurde es bereits sehr warm, obwohl es noch früh im Mai war. Huan zog seinen Pullover aus und wickelte ihn sich um die Hüften. Sofort fühlte er sich leichter. Die Kirschbäume im Alsterpark standen in voller Blüte wie ein grandioses, vollmundiges Versprechen des Sommers, und Huan begann, sich zu fragen, wie man einen Sommer ertragen konnte ohne Jana, ohne den roten Kater.
    Halb unbewusst, halb, um sich von der Sorge um Kurkuma und der Angst vor dem Sommer abzulenken, summte er dabei die ganze Zeit die Melodie des seltsamen Liedes aus seinen Träumen. Mehr noch, er sang sogar leise den Text mit. Irgendwo in den frisch getünchten und ausgefegten Räumen seiner Erinnerungen, die noch darauf warteten, mit Krempel gefüllt zu werden, den Souvenirs eines Lebens, den Schachteln voller Seufzer, Kisten voll Freude, Eimern voll Verwirrung, Entrüstung und Rührung und den ordentlich aufeinandergestapelten Schubladen mit den verschiedensten Abstufungen des Schmerzes - irgendwo dort hatte sich das Lied inzwischen zu einer großen Staubfluse angesammelt, die nun vom Luftzug seiner Sorge um Kurkuma aufgewirbelt wurde. Huan sang das rätselhafte Lied in jener Sprache, deren Sinn ihm nach wie vor völlig schleierhaft blieb.
    Und das Lied schien ihn zu führen.
    Huan merkte es zunächst an der Melodie. Was er bislang für einen monotonen Singsang gehalten hatte, war im Gegenteil eine komplizierte Abfolge von Tönen. Der Text des Liedes dagegen, die unbekannten Worte und Silben, sofern es überhaupt Worte und Silben waren, hatten ihren eigenen Rhythmus. Aber beides, Melodie und Text, schien perfekt zusammenzupassen, denn das Lied sang sich so mühelos, als ob es einzig für Huan maßangefertigt wäre. Als ob es das einzige, das einzig wahre Lied auf der Welt wäre.
    Das perfekte Lied.
    Es übertrug sich auf seinen Körper, füllte ihn aus, ganz und gar, spannte die Haut, pulsierte in seinen Ohren und vibrierte in jedem Muskel. Seine Arme zuckten im Takt und seine Beine passten sich mit kleineren oder größeren Schritten dem Rhythmus an. Und plötzlich gab es besondere Stellen in dem Lied, kurze Pausen, die einen Wechsel in der Melodie einleiteten. An diesen Stellen blieb Huan jedes Mal stehen, machte eine kleine Drehung - und ging dann weiter, sobald das Lied wieder einsetzte.
    Denn das Lied kontrollierte ihn. Huan erschrak, als er sich dessen bewusst wurde. Gleichzeitig aber schien ihm von einem Lied keine Gefahr auszugehen. Es war doch nur ein Lied! Man konnte ja jederzeit aufhören zu singen.
    Theoretisch.
    Tatsächlich hatte das Lied von ihm längst Besitz ergriffen und sang sich selbst weiter. Dennoch wehrte sich Huan nicht, denn erstens war er seltsame Vorahnungen - und um nichts anderes schien es sich hier zu handeln, nur in neuer Form -gewohnt, und zweitens brachte ihn das Lied womöglich zu Kurkuma. Also sang er weiter, und das Lied führte Huan kreuz und quer durch den Alsterpark bis zu der Stelle an der großen Freiwiese, wo bereits Buden und Würstchenstände aufgebaut wurden. Jetzt erinnerte sich Huan daran, dass an diesem Abend das alljährliche Japanische Kirschblütenfest an der Alster gefeiert wurde. Und wie jedes Jahr würde es ein großes Feuerwerk geben. Huan war einmal mit seinen Eltern da gewesen und hatte es langweilig gefunden. Feuerwerke mochte er ohnehin nicht und mit Japan hatte das

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