Papa ante Palma
Highlight.
»Ja, und hier, meine Damen und Herren, dat große
Bad.« Mit dem Charme und der Beherztheit eines Schiffschaukelbremsers öffnete
Waltraud eine weitere Tür.
Wir betraten einen gefliesten Raum, in dessen
Mitte eine gigantische Badewanne stand. Sie war lila.
»Poah«, hörte ich hinter mir, »lila, das geht ja
gar nicht. Komm, Markus.«
Lucias Augen dagegen leuchteten. »Das will
ich.«
»Ja, die können Se sisch zu Weihnachten wünschen,
mit Ihren Zwillingen kommen Se da nämlisch nit rein«, kläffte Waltraud trocken.
»Wasserjeburten gibt’s nur, wenn bloß ein Braten in der Röhre ist. Bei Ihrem
Doppelwhopper müssen Se in einen der normalen Kreißsäle.«
»Aha, okay.« Lucia wirkte etwas enttäuscht.
Da meldete sich auf drei Uhr eine Frau mit
Topfschnitt zu Wort. »Ich habe mal gehört, dass einige Kliniken auch
Unterwassermusik anbieten. Mozart wäre mir sehr recht.«
»Dat kann isch mir vorstellen, dat Ihnen dat
rescht wäre, aber hier jibbet keine Musik unter Wasser, es sei denn, Se könnten
eine furzen.«
»Das ist ja unerhört.« Die Frau zog ihren Mann
aus dem Bad, während ein paar andere losprusteten.
Langsam gefiel mir Waltraud, allerdings würde ich
sie lieber auf einer Bühne sehen als mit beiden Unterarmen in Lucia.
»Wir hätten Sie gerne als Beleghebamme«, sagte
meine Frau just in diesem Augenblick.
Waltraud überlegte einen Moment. »Härtzlisch
jerne.«
Fünf Wochen später war es dann so weit. Es war
der neunte Januar, und das Warten war schier unerträglich geworden. Außerdem
konnte Lucia nicht mehr schlafen, da ihr die Kinder auf die Lunge drückten.
Waltraud, die uns einmal zu Hause aufsuchte, um sich persönlich vorzustellen,
und dabei einen halben Marmorkuchen verputzte, riet uns, »langsam mal die Katzen
aus dem Sack« zu lassen und in die Klinik zu gehen, obwohl der ausgerechnete
Geburtstermin noch nicht ganz erreicht war.
»Wenn isch ehrlich bin, Zwillinge bis Ende
achtunddreißigste Woche drin zu behalten is ’ne Kunst. Die Kinder sin jäz schon
voll entwickelt«, sagte sie.
»Okay«, meinte Lucia, »ich packe, du rufst ein
Taxi.«
Eine Stunde später ließ ich mich lämmergleich,
mit Gummiclogs an den Füßen und einer Art Duschhaube auf dem Kopf, von Waltraud
in den OP -Saal führen. Alles war angerichtet für den
Kaiserschnitt. Entgegen meiner Erwartung spürte ich überhaupt keine Nervosität
mehr. Der Operationssaal war fensterlos und bis zur Decke gefliest, wie in einem
Schwimmbecken, aus dem man das Wasser abgelassen hat. Die Kälte, die mir
entgegenschlug, erinnerte mich allerdings eher an den Kühlraum eines
Massentierschlachthofs. Fehlten nur noch die baumelnden Schweinehälften.
Lucia lag bereits wie gekreuzigt auf einer Liege,
als ich hereinkam. Die Handgelenke steckten in Schlaufen, die Arme im 90˚-Winkel
vom Rumpf weggestreckt. Ein kleiner Vorhang, der oberhalb ihrer Brüste quer
gespannt war, machte es für sie unmöglich, die Operation zu verfolgen. Lucia sah
mich an, und leichte Panik flackerte in ihren Augen auf. Ich setzte mich auf den
Stuhl neben ihrem Kopf und nahm ihre Hand. Sie zitterte stark. Alles an ihr.
»Keine Sorge, das sind die Narkosemittel«, sagte
die Schwester ruhig.
Plötzlich wurde aus dem Zittern ein Ruckeln, als
würde Lucia auf einem Schlitten über eine Buckelpiste fegen, und kurz darauf
hielt eine der Schwestern ein schreiendes blaurotgraues Bündel über den Vorhang:
Sophie. Die Kleine tauchte so unvermittelt auf wie eine Puppe beim
Kasperletheater. Lucia wollte die Arme nach ihrer Tochter ausstrecken, doch die
Schlaufen um ihre Handgelenke rissen sie zurück. Stattdessen verschwand die
Krankenschwester mit Sophie aus der Flügeltür, und einen Moment später schwebte
mit Luna Kind Nummer zwei vor unseren Köpfen aus dem OP . Still und etwas bedröppelt warteten wir eine Weile, während die
Ärzte Lucia zunähten. Irgendwann schwang die Tür wieder auf, wie bei einer
Großküche, und die Schwestern brachten uns endlich, was wir bestellt hatten:
zwei kleine Halbspanierinnen. Gewaschen, gepudert und in ein Handtuch
gewickelt.
Jetzt waren wir eine Familie.
Die Kinder sahen so niedlich aus, wie sie, in
dicke Decken gepackt und mit winzigen Zipfelmützen auf dem Kopf, in unserem
Familienzimmer zusammen in einem Bettchen lagen. Ständig musste ich an ihnen
riechen, während sie im Halbschlaf vor sich hin blubberten und dabei einen
Geruch verströmten, der mir noch nie zuvor begegnet war. Fremdartig, wie
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