Papa ante Palma
Stehbäckerei
ab.
»Einen Boopie, ein Schweineohr, zwei
Arabella-Donuts, zwei Olivenkäseseelen, einen Kernbeißer und zwei Kaffee bitte«,
orderte ich.
Lucia fing an zu lachen. »Welcher Idiot denkt
sich eigentlich solche Namen aus?«
»Weiß nicht, aber seinen Job hätte ich gerne«,
sagte ich und stellte das Tablett, das zirka eine Tonne wog, auf dem Stehtisch
ab. Schlapp rührte ich in der Tasse herum. Jede Droge hat nun mal ihren
Kater.
»Zwei«, sagte Lucia plötzlich, und ihre Augen
glänzten.
Es war wie ein Weckruf.
»Ja, Schatz, zwei. Wir schaffen das«, antwortete
ich und streichelte ihr über die Wange.
O Mann, du hattest damals echt keine Ahnung,
wovon du da redest, sage ich mir und wage über den Cowboy hinweg einen weiteren
Blick aus dem Fenster.
Wir überfliegen bereits die Außenbezirke der
mallorquinischen Hauptstadt, und ich werde langsam richtig nervös. Palma! Noch
verbinde ich nichts mit dem Städtenamen. Keinen Geruch, kein Geräusch, keine
Farbe, kein Gesicht. Im Netz hatte ich mal nach der Einwohnerzahl gesucht:
vierhunderttausend. Eine spanische Großstadt. Natürlich, ich habe meine
Vorstellungen. So viel anders als Barcelona wird Palma nicht sein, sage ich mir,
nur kleiner.
Hell ausgeleuchtete Bars, in denen es meilenweit
nach Tabak und cortados riecht, dem typisch
spanischen Kaffee, zu Füßen der Theke der übliche Serviettenfriedhof. Schlanke
Frauen, in deren Haar sich das Licht der aufgehenden Sonne spiegelt und die
kerzengerade auf ihren Vespas zur Arbeit düsen. Argentinier mit lockigen Haaren
in Strandbuden, die Lederarmbänder feilbieten und von früh bis spät Manu Chao
hören. Verbrannte Nasen fleischiger Touristen, die in Sandalen durch die
Innenstadt wanken und zwischen den zierlich-eleganten Südländern aussehen wie
Seeelefanten auf einer Vernissage. Kalte Luft, die aus den klimatisierten
Geschäften auf die glühenden Asphaltpisten strömt, Boutiquen, in denen
gelangweilte Schönheiten in bauchfreien Oberteilen minütlich ihren Wet Look
checken. So ungefähr jedenfalls.
Als die Anschnallzeichen über unseren Köpfen
aufleuchten und die Maschine zum Landeanflug ansetzt, bin ich in Gedanken schon
wieder bei den Zwillingen. Wenn ich damals, nach dem Besuch bei Frau
Dr. Schmitz-Kernig, auch nur im Entferntesten geahnt hätte, was für harte
Zeiten mit Sophie und Luna auf uns zukommen sollten, ich hätte jeden einzelnen
Tag bis zu ihrer Geburt gefeiert, als wäre es mein letzter.
Ein erster Warnhinweis hätte die Suche nach der
richtigen Klinik sein können, bei der Lucia und ich unter anderem Waltraud
kennenlernten. Ein echtes Original.
»Ja, hallo zusammen, isch bin die Waltraud Würz«,
stellte sie sich vor und kam auf die kleine Gruppe werdender Eltern zu, die im
Flur der Entbindungsstation gewartet hatte.
Wir hatten kaum den Gruß erwidert, da redete sie
auch schon weiter.
»Isch bin eine der freien Beleghebammen der
Klinik«, sagte sie mit ziemlich monotoner tiefer Stimme, »und will Ihnen jetzt
mal die Räume zeischen. Bitte folljen Se mir.« Damit stampfte Waltraud
voran.
»Die nehmen wir«, entschied Lucia sofort und
erhob sich mühsam von dem harten Sitz.
»Was?«, rief ich. »Was ist denn heute mit dir
los? Ist das der Tag der schnellen Entscheidungen? Wozu dann das ganze Hin und
Her im Vorfeld von wegen welche Klinik und welche Hebamme?« Ich war völlig
überfordert. »Außerdem ist die Frau ein halber Kerl.«
»Na und? Heißt das etwa, sie ist keine gute
Hebamme?«, konterte Lucia.
»Deine Geburt«, sagte ich und hob die Hände, als
würde ich mich einem Gegner mit geladener Waffe ergeben. »Dein Unterleib, deine
Schmerzen, deine Entscheidung.«
»Eben!« Lucia schien sich bestätigt zu fühlen.
»Und jetzt komm.«
»Ja, und dat hier is der Kreißsaal Numero uno«,
sagte Waltraud und stieß eine Flügeltür mit zwei Bullaugenfenstern auf.
Es war ein völlig normales Zimmer in Ockergelb.
Man könnte beinahe meinen, hier wohne jemand, dachte ich und ließ den Blick über
eine Stereoanlage, einen Schemel, einen Liegestuhl und ein Schränkchen mit
Utensilien wandern. An dem von der Decke hängenden Seil, das am unteren Ende
verknotet war, blieb er haften. Es stimmte also: Frauen hingen an Seilen und
gebaren Kinder. Unauffällig beobachtete ich die anderen Männer, die das Seil
ebenfalls mit Ehrfurcht betrachteten. Jeder Einzelne sah es ganz klar vor sich.
Die eigene Frau hing schreiend am Seil, und irgendwo guckte ein kleiner Kopf
raus.
Dann das
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