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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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zunächst.
»Gefangen«, sagte sie dann und korrigierte sich sofort zu »schattig«, um
schließlich bei »stiller Imperator« zu landen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich
das deuten sollte, beließ es aber dabei.
    Und dann auch noch Herr Selva, von dem Lucia nur
in den höchsten Tönen schwärmte. Er sei ein seriöser Herr mit Anstand, wie man
ihn unter seinesgleichen oft vergeblich suche, behauptete sie. Seine Augen
ließen zwar seit einiger Zeit ein wenig nach, und die Zähne blitzten nicht mehr
so wie früher, was angesichts seiner bescheidenen achtzig Jahre jedoch kein
Wunder sei, dafür sei er aber durchaus rüstig. Er hatte sich angeblich nie
großartig verstellt, war sich treu geblieben und hatte immer sein Ding
durchgezogen. All das gebe ihm die Strahlkraft, die ihm so manch einer neidete,
und tatsächlich beschleunige der alte Schlawiner nach wie vor bei dem einen oder
anderen jungen Ding seinen steifen Gang.
    Lucia redete über Herrn Selva wie über ihren
eigenen Großvater, dabei war er nichts weiter als Prudes inkontinenter
Yorkshire-Terrier.
    Nun denn, Lucia hatte entschieden, und ich wagte
es nicht, zu widersprechen. Eine helfende Hand in der Küche, während Lucia mit
leicht gelbstichigem Gesicht als Dauerabpumpstation im Bett lag, war nicht zu
verachten.
    So schlimm wird es schon nicht, dachte ich bei
mir und machte mich nach einer weiteren Nacht ohne Schlaf am Morgen völlig
übermüdet daran, die Wohnung aufzuräumen. Unterdessen hievte Lucia sich aus dem
Bett, schloss sich an die Pumpe an und machte sich selbst sowie die Kinder für
Prude empfangsbereit.
    Dann klingelte es, und ich drückte auf den
Türsummer.
    »Na, dann wollen wir die Oma mal begrüßen«, sagte
ich zu Luna, die frisch gepudert auf meinem Unterarm schaukelte, obwohl ich sie
viel lieber hochgeworfen hätte.
    Ich hörte noch, wie die Tür im Erdgeschoss
aufsprang, da stand Prude auch schon vor uns. So als wäre sie die Treppen
hochgeflogen.
    Erstarrt blieb ich im Türrahmen stehen, ohne ein
Wort zu sagen. Lucias Mutter trug einen langen schwarzen Mantel, der ihr die
Aura eines mächtigen Zauberers verlieh. Sie hatte ein strenges, aber
wohlgeformtes Gesicht, das eine Brille mit bernsteinfarbenem Rahmen zierte. Ihre
Augen waren wach und bis zum Anschlag aufgerissen, als hätte sie sich gerade
erst über etwas empört. Ihr kurzes kamelfarbenes Haar wirkte irgendwie
künstlich. Außerdem hatte es beinahe die gleiche Farbe wie ihre Haut und das
Brillengestell, so dass es bis auf die kleinen pechschwarzen Pupillen keine
farblichen Kontraste in ihrem Gesicht gab.
    Obendrein spürte ich etwas Unnachgiebiges,
Borstiges. Einen Stahlmantel, den man nur mit speziellem Werkzeug und sehr viel
Energie würde aufbohren können. Hoffnungslosigkeit überkam mich. Ich hatte diese
Energie nicht, das war mir sofort klar, denn seit der Geburt der Kinder
verwendete ich jedes einzelne Joule darauf, trotz Schlafmangels und Frustration
unseren neuen Tagesablauf als Familie irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Und
dann der Schatten. Da war tatsächlich ein Schatten. Genau wie Lucia es
beschrieben hatte. Er legte sich augenblicklich auf Boden und Wände, trübte die
ohnehin schon spärliche Treppenhausbeleuchtung, umklammerte unsere Waden und
rankte sich die Bücherregale im Flur empor. Wenn Prude der Imperator war, dann
waren wir vier übermüdete, schreiende und großbusige Ewoks.
    Einen langen Moment taxierten Prude und ich uns,
während Herr Selva reglos auf ihrem rechten Unterarm thronte. Offensichtlich war
er erblindet. Blind und inkontinent, eine diabolische Kombination.
    Die silbergrauen Pupillen gaben dem Hund etwas
Orakelhaftes, ja Unwirkliches. Obendrein lugten seine vom Alter verbogenen
Schneidezähne links und rechts über die schwarzen Terrierlefzen und verpassten
seinem winzigen Gesicht ein kauziges Dauergrienen. Als ich mich Herrn Selva
näherte, um ihm über den Kopf zu streicheln, fiel mir der faulig-saure Geruch
auf, der von dem Tier ausging. Das Gespann wartete gar nicht erst, bis wir es
hereinbaten. Wie ein Zug an einem geschmückten Bahnhof raste Prude an mir und
Luna vorbei.
    »Ja, äh … hola
Prudencia «, sagte ich und ging ihr hinterher.
    Sie tat, als hörte sie mich nicht, und
inspizierte zunächst die Küche, indem sie den Raum von Ecke zu Ecke abschritt.
Ich blickte kurz zu den Blumen auf dem Küchentisch hinüber, um sicherzugehen,
dass sie nicht im Zeitraffer verwelkten.
    Lucia schien das alles nicht weiter zu

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