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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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auch noch das »andere Mallorca«, womit vermutlich die einzigartige Natur
sowie das beeindruckende Kulturangebot jenseits der Küstenorte gemeint sind.

Zwei
    Kaum habe ich das Sandwich und den Saft
verputzt, holen mich die Erinnerungen an die Anfangsphase mit Lucia wieder ein.
Ich werfe meinem Nebenmann ein zufriedenes Grinsen zu, um gleich darauf wieder
in der Vergangenheit zu versinken.
    Zwei Tage nach Beginn des neuen Millenniums
schrieb ich Lucia eine Mail mit einem kurzen Gruß und vielleicht noch einer
spöttischen Bemerkung über den ausgebliebenen Computercrash. Das war’s. Die
Antwort, die nicht lange auf sich warten ließ, war knapp und keck.
    Damit war der Anfang gemacht, eine Salve E-Mails
folgte der nächsten. Es waren Hunderte. Wir schrieben uns Geschichten, Witze und
manchmal auch nur ein einzelnes Wort. Die Textzeilen wurden mit der Zeit
offener, tiefer und immer zweideutiger. Wie bei einem Gentlemen’s Agreement
bewahrten wir Stillschweigen über die Beziehungen, in denen wir beide nach wie
vor steckten. Doch das Tempo, mit dem wir uns zueinander vorgruben, ließ keinen
Zweifel daran, dass hinter uns bald etwas einstürzen würde. Oder über uns.
    »Der Ball ist noch heiß«, sagte Jörg, als ich ihm
davon erzählte.
    Nach acht Wochen kannte ich Lucia besser als
viele meiner alten Freunde. Zumindest glaubte ich das. Sie überraschte mich mit
einem burschikosen Sinn für Humor, den ich angesichts ihrer zarten Erscheinung
nicht für möglich gehalten hätte. Lucia erschien mir wie die eierlegende
Wollmilchsau, der Sonntagsschuss, der Sechser im Lotto mit Zusatzzahl. Schön,
belesen, zart, deftig, bescheiden, sportlich und witzig. So etwas gab es nicht.
Nicht auf diesem Planeten.
    Irgendwann forderte ich ein Date ein, als wäre es
das angestammte Recht eines gebundenen Mannes. Wer sich täglich Geschichten
schrieb, hatte sich näher kennenzulernen, von Angesicht zu Angesicht. Auch wenn
wir damit Gefahr liefen, dass der Zauber des Indirekten, des Unverbindlichen und
Ausgedachten einer Realität wich, die womöglich mit einem Streit über
unverschlossene Zahnpastatuben anfing und mit gesplitteten Freundeskreisen
aufhörte.
    Da Lucias Antwort auf sich warten ließ, fragte
ich Jörg um Rat.
    »Alles hängt zusammen«, orakelte er nur. »Wenn du
dir ein Haar am Hintern ausreißt, tränen dir die Augen.«
    Ich verstand bloß Bahnhof. Dann, nach vier Tagen,
kam endlich die ersehnte E-Mail. Ich konnte Lucias Zähne beim Verfassen der
Zusage förmlich durch die Lautsprecherboxen meines Computers knirschen hören. Zu
offensichtlich war ihre Angst, in Schwierigkeiten zu geraten. Gerade erst hatte
der Autohausmann Ruhe in ihr Leben gebracht. Und nun war ich im Begriff, wieder
alles durcheinanderzuwirbeln.
    Wir trafen uns schließlich in einer Bodega am
Friesenplatz. Als Mitbringsel hatte ich für Lucia alle unsere bisherigen E-Mails
ausgedruckt und überreichte ihr ein Buch von fast zweihundertfünfzig Seiten. Ich
hatte es (S)pain genannt. Mit diesem Titel, für den
ich einen ganzen Vormittag gebraucht hatte, glaubte ich sowohl meiner
Bewunderung als auch meinem Leiden gebührend Ausdruck zu verleihen.
    »Danke«, sagte Lucia und betrachtete den
Papierberg in ihrer Hand.
    »Gern«, erwiderte ich nur.
    Sie sah einfach umwerfend aus in dem
federleichten, verspielten Oberteil eines Designers aus Barcelona, der
Schlaghose aus hellbraunem Kord und den Lederstiefeln, die dem legeren Outfit
einen Schuss Eleganz verpassten. Natürlich war es bizarr, dass wir uns zum
ersten Mal wirklich gegenübersaßen, während unser Innenleben auf einem Stapel
Papier zwischen uns lag. Bizarr, aber keineswegs ernüchternd. Wir brauchten auch
keine Anlaufphase, sondern machten einfach da weiter, wo wir am Bildschirm
aufgehört hatten. Nur bekam ich diesmal Lucias Augenaufschlag und ihr Lachen
frei Haus, anstatt es mir vorstellen zu müssen. Das war unbezahlbar.
    Es gab kein Zurück mehr. Selbst die Tatsache,
dass nach einer Stunde urplötzlich Lucias Freundin Susi, die sie für einen
eventuellen katastrophalen Verlauf des Abends als Notausgang gebucht hatte, an
unserem Tisch stand, konnte nichts daran ändern: Ich war bis über beide Ohren in
diese hübsche Spanierin verknallt.
    Vier Monate später hatten wir uns unter einigem
Getöse von unseren Partnern getrennt und zogen zusammen in eine
Maisonnette-Wohnung in Köln-Mühlheim. Lucia machte ihren Magister in Romanistik
und landete schließlich in einer Kölner Werbeagentur. Ich

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