Papa
fettigem Zeug vollschlagen. Kommst du?«
Lilly nickte, und ihr fiel auf, wie ähnlich sie beide sich waren. Nicht nur äußerlich. Ihre Mutter hatte seit den Ereignissen nicht
einmal
gejammert. Sie hatte alles ertragen und weitergemacht. Dennoch sah man ihr an, was sie erlebt hatte.
Es schimmerte in ihren Augen, zeigte sich in jedem Blick.
»Pling«
Ihre Mutter hielt inne und zog eine Augenbraue hoch.
»Nein«, sagte Lilly sofort. »Das ist allein meine Sache.«
»Ich habe nichts gesagt«, sie hob beide Hände, »aber ich warte nicht ewig.« Damit drehte sie sich um und verließ das Zimmer.
Lilly schloss die Augen. Manchmal war es anstrengend, wenn ihre Mutter versuchte, ein normales Leben zu führen.
Es war erschreckend, wie sehr manche Dinge miteinander verknüpft waren. Damit
Tommi
anfangen konnte, sein normales Leben zu führen, musste
ihres
beendet werden.
Bei ihm war es nur eine Frage der Zeit. Lügen kann man nicht lange aufrechterhalten. Irgendwann bricht die zusammengeschusterte Welt zusammen, und der ganze Mist, den man verbergen wollte, kommt zum Vorschein. Ihr Stiefvater, der ihr so nahe war, hatte seinen Job gut gemacht.
Noch heute spürte Lilly ihre Fassungslosigkeit, als die Polizei vor der Tür stand, um einen Serienkiller abzuholen.
Lilly glaubte zu ertrinken. Ihre Lungen brannten. Aus ihrem Zimmer schien jeglicher Sauerstoff entwichen zu sein. Sie riss den Mund auf und sog sämtliche Luft auf einmal ein.
Warum hatte er ihnen das angetan? Und wann würde sie endlich darüber hinweg sein?
Sie schaute auf den Monitor, und heiße Tränen rollten über ihre Wangen. Sie blinzelte, konnte dennoch kaum lesen, was da stand:
»Hättest du Lust, übermorgen mit mir ins Kino zu gehen? Nur wir zwei? Du darfst dir den Film aussuchen.«
Das war ein Date. Patrick lud sie zu einem Date ein!
Lilly wischte sich über die Augen und antwortete mit zittrigen Fingern:
»Ja.« Mehr war nicht drin. Nicht jetzt. Sie schlotterte am ganzen Körper. Was hätte sie gegeben, wenn
er
der Grund dafür gewesen wäre. Aber leider war es dieser verdammte Jahrestag. Wieder machte ihr Tommi alles kaputt. Nein, Tom, korrigierte sie sich, nicht Tommi. Der war vor zwei Jahren mit ihr gestorben. Tommi war ein toller Mensch, dem sie ihr Leben anvertraut hätte. Tom war der Serienkiller.
Das Leben war unfair.
Sie blieb noch einen Moment sitzen, schob die düsteren Gedanken zur Seite und versuchte, sich zu beruhigen. Dann stand sie auf, ging zurück zum Kleiderschrank, öffnete ihn und seufzte. Hatte sie jemals irgendetwas davon getragen?
Im Wohnzimmer klingelte das Telefon, und es schien ewig zu dauern, bis ihre Mutter ranging.
Was sollte sie nur anziehen? In diesem verdammten Kleiderschrank gab es nicht einen Fetzen Stoff, der cool war. In diesen Sachen konnte sie sich unmöglich mit Patrick treffen. Es sei denn, sie hätten ihr erstes Date in einem Müllcontainer oder auf einer Hello-Kitty-Party.
Es polterte im Wohnzimmer, und der gequälte Schrei ihrer Mutter drang erst in Lillys Zimmer und dann schmerzhaft wie ein Messer in ihr Bewusstsein.
[home]
Kapitel 5
E s schienen Stunden vergangen zu sein, seit die Direktorin der forensischen Psychiatrie aufgelegt hatte. Michelle hob den Telefonhörer vom Boden auf, ohne sich zu erinnern, ihn fallen gelassen zu haben.
Ein Surren in ihrem Kopf blockierte jeden Gedanken. Erst als ihre Tochter Lilly in der Tür stand, mit aufgerissenen Augen und einem Blick, als wäre sie knapp einem Autounfall entkommen, stürzte die Realität auf Michelle ein.
Sie riss sich zusammen, legte das Telefon auf den Tisch und setze sich in einen der Sessel.
Das weiche Polster schmiegte sich an sie wie eine schützende Hand.
Nein, das konnte nicht wahr sein. Nicht an diesem Tag. Irgendjemand erlaubte sich einen bitterbösen Scherz mit ihr.
Der Appetit auf Lasagne war ihr vergangen. So ein mieses Schwein.
Sie versuchte ein Lächeln und schaute ihre Tochter an. »Guck nicht, als hätte ich Bambi erschossen. Es ist alles in Ordnung.«
Sie konnte es ihr unmöglich sagen. Lilly hatte genug durchgemacht, verdammt. Sie musste doch die Chance haben, es endlich hinter sich zu lassen. Alles hatte Michelle dafür getan. Sie hatte sich aufgeopfert, ihren eigenen Schmerz tief in ihrem Inneren versteckt – und dann so etwas.
Lilly hockte sich neben sie, streichelte ihr Knie. »Du kannst mir nichts vormachen, Mama. Was ist passiert?« Ihr Blick bohrte sich in Michelles Gewissen.
Zu viel hatte dieses
Weitere Kostenlose Bücher