Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Neigung der Amerikaner zurück, ihren Speisen harte Pioniernamen zu geben. Wir sind mit Französisch als der Sprache der Kochkunst ganz zufrieden, aber Amerikaner finden sie verweichlicht. Und ich finde, sie haben gar nicht so unrecht: »Getrockneter Bauch vom Nebraska-Eber in Sauerteig und geknackten Hummerscheren aus Maine« klingt wirklich männlicher und appetitanregender als, sagen wir,
noisettes d’agneau à la Grecque dans un coulis de pamplemousse
.
Da saß ich nun gemütlich und selig in meine eigene Welt eingekuschelt – denn allein zu essen gehört definitiv zu den größten Genüssen, die diese Welt zu bieten hat –, als eine bekannte, aber nicht englische Stimme an meinen Tisch drang. Eine Stimme, die meiner Generation bekannter ist als fast jede andere. Die Stimme eines Mannes, der seit fünfundzwanzig Jahren regelmäßig seine eigene Fernsehsendung präsentiert; ein Mann, der in England zahlreiche Platten in den Charts gehabt hat; ein Mann, der in dieser ganzen Zeit so liebevoll verspottet und nachgeahmt worden ist wie kaum ein zweiter. Trotzdem die Stimme, die ich in der Polo Lounge des Beverly-Hills-Hotels als allerletztes erwartet hätte.
Es war Rolf Harris’ Stimme. Warum seine Stimme eigentlich so gar nicht in diese Umgebung passen sollte, weiß ich nicht, aber eine heilsame Welle Heimweh überrollte mich wie eine feuchte Bergbrise. Ich vergaß Amerikaund seine Milliarden-Dollar-Unterhaltungsindustrie, seine komisch benamsten Speisen und seine abstruse Hoteletikette. Rolf Harris war da, und plötzlich wußte ich, daß ich Engländer war und daß ich niemals etwas anderes sein würde.
Wenn unser internationaler Einfluß auch auf Aston Martins und Mrs Thatchers Hüte zusammengeschrumpft ist, so ist die Anziehungskraft der Heimat doch so stark, daß Dollars und Avocadosalate nicht mithalten können. Wenn du weitab vom Schuß Patagonien durchwanderst, so rüttelt der Anblick einer ramponierten Packung Scott’s Haferflocken in einer kleinen
Tienda
mit unvergleichlicher Macht an deinem Herzen. Wenn du allein in der Polo Lounge sitzt, so geleiten dich die Flötentöne der Stimme von Australiens größtem Sohn so sicher nach Hause wie ein Leuchtturm.
In dem Augenblick, als Rolf Harris’ wunderbarer Baßbariton mein Ohr durchdrang, erhob ich mich, eilte zur Rezeption und ließ ihn ausrufen. Es war das mindeste, was ich tun konnte.
Entwurf einer Haßliste
In den reaktionären Sechzigern, ungefähr zur Zeit, als der Wolfenden-Report Früchte zu tragen begann, erzählte man sich den ziemlich dummen Witz von einem Geordie, der das Australia House aufgesucht, sich die erforderlichen Impfungen geholt, sein Hab und Gut zusammengepackt und sein Haus verkauft hat, um sich auf das neue Leben in der südlichen Hemisphäre vorzubereiten. Am Flughafen interviewt ihn ein Reporter und fragt, warum er sich entschlossen habe, die alte Heimat zu verlassen.
»Tscha«, sagt der Geordie, »vor zweihundert Jahrenstand in diesem Land auf Homosexualität die Todesstrafe. Hundert Jahre später lautete das Urteil zwei Jahre Zwangsarbeit. Vor fünfzig Jahren sechs Monate Gefängnis. Heute ist sie legal. Ich hau ab, bevor sie Pflicht wird.«
Kein erquicklicher Witz, auch nicht besonders aufschlußreich oder aufgeschlossen; schon gar nicht komisch. Sinnvoll ist allein die Überlegung, welche Veränderungen in einem Land einen zum Nachdenken über die eigene Emigration bewegen könnten. Die üblichen Auswanderungsgründe drehen sich um Chancen, Steuern oder Familienelend, aber sind Gesetzesänderungen vorstellbar, die einen dazu bringen könnten, Britannien zu verlassen – nicht wegen finanzieller Einbußen, sondern einfach aus Ekel?
Anfang dieser Woche habe ich darüber nachgedacht, denn ich habe mir vor langer Zeit geschworen, wenn die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollte, würde ich mit (vermutlich unerwidertem) Bedauern meine Zelte abbrechen und verstohlen in die Nacht hinausschleichen. Mir wäre es einfach zu peinlich, einem Staat anzugehören, der herumläuft und seine Bürger abmurkst. Wie soll man sich noch des aufrechten Ganges befleißigen, wie Stolz empfinden, Engländer zu sein, wenn man ständig im Hinterkopf hat, daß die eigenen Steuern zum Teil den Strick finanzieren, mit dem anderen Leuten das Genick gebrochen wird? Das wäre einfach zu beschämend. In Gegenwart von Angehörigen zivilisierter Nationen wüßte man gar nicht mehr, wohin man blicken sollte.
Die Schwierigkeit bei dieser so
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