Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
drastischen Lösung, eines Prinzips wegen dem Vaterland abzuschwören, besteht darin, daß man bockig und hysterisch wirken könnte. Die Anhänger des Aufknüpfens würden bei meiner Emigration doch nur jubeln: »Ein Glück, daß wir die Memme los sind.« »Wenn’s dir zu heiß wird, verschwinde aus der Küche!« wäre der Knackpunkt ihrer Argumentation.Worauf ich in der mir eigenen Art erwidern würde, eigentlich bliebe ich viel lieber in der Küche, wenn bloß jemand die Hitze runterdrehen oder das Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen würde. Aber die Demokratie ist nun einmal, was sie ist, und eine parlamentarische Gesetzesvorlage, die die Todesstrafe wieder einführt, würde in ihrem Lauf wohl kaum aufgehalten werden, bloß weil ich oder ein anderer Bürger damit drohte, das Land zu verlassen. Also wäre die eigene Auswanderung als Protest oder auch nur als Gag wertlos; man würde sich lediglich seiner Vorliebe hingeben: man würde einfach nicht mehr hier leben wollen.
Aber vielleicht ist es auch einfach Feigheit. Würde ein Mann mit echten Prinzipien nicht hierbleiben und kämpfen? Ist es nicht besser, seine Stellung zu halten und mannhaft seine Kampagne zu führen, als zu fliehen und am Spielfeldrand kläglich herumzuplärren? Wahrscheinlich schon. Aber die Rückkehr der Todesstrafe würde mich mit solch überwältigendem Abscheu und Überdruß demoralisieren, daß all meine Kampfkraft futsch wäre. Dasselbe wäre der Fall, wenn diese schrägen Rauchverbotsfanatiker recht bekämen und es schafften, Gottes ehrbare Zigarette oder der Natur heilsame Zigarre zu ächten. Warum Todesstrafe und Rauchverbot mir widerwärtig sind, könnte ich vielleicht noch argumentativ rechtfertigen, aber was sie für mich von anderen politischen und sozialen Streitfällen unterscheidet, ist im Grunde tiefer und unerbittlicher Haß.
Ich bin mal in einem Stück aufgetreten, wo eine Schauspielerin uns die stumpfsinnige Zeit zwischen Matinee und Abendvorstellung vertrieb, indem sie uns sogenannte Haßlisten aufstellen ließ. Anonym hatten wir eine Liste von zehn Dingen zu erstellen, die wir irrational und heillos haßten. Alles war erlaubt: Blaskapellen, Oxford, Opel, Wales, Vitamine, Sherrygläser, Tennis, die Romane von D. H.Lawrence … was immer den tiefsten Abgründen der eigenen Seele entsprang. Danach wurden die Listen vorgelesen, und wir mußten raten, wer welche geschrieben hatte.
Ich empfehle das als Weihnachtsspiel, unter eventueller Hinzufügung möglicher Gesetzesentwürfe, die einen zur Emigration zwingen würden. Haß paßt vielleicht nicht in die Weihnachtszeit, aber das mutmachende Ergebnis eines solchen Unterfangens besteht in der Erkenntnis, daß normale Spielpartner (wenn sie wirklich ehrlich sind) niemals
Menschen
in ihre Listen aufnehmen, nicht mal wirklich schreckliche Typen; sie notieren nur Dinge, Einstellungen und Handlungen. Der Grund dafür ist, daß Menschen nicht böse sein können; sie sind nur
fähig
zum Bösen; das ist der wesentliche Unterschied, der Reue und Vergebung erlaubt, und genau darum geht es doch letztlich beim Weihnachtsfest.
Die Entdeckung, daß man keine Menschen hassen kann, sondern nur, was sie tun oder sagen, ist von tiefer Bedeutung. Mir fällt nichts Besseres ein, womit ich Ihnen zum Abschluß, wie man in jenen reaktionären Sechzigern zu sagen pflegte, ein cooles Julfest und ein duftes neues Jahr wünschen kann.
Gesund & munter, fröhlich & schwul
Wie viele Angehörige meiner in Verruf geratenen Generation bin ich wahnsinnig verliebt in Techno-Spielkram aller Art. In jener gefürchteten Ära des Achtziger-Jahre-Kaufrauschs kaufte niemand berauschter als ich. Obwohl wir uns inzwischen weit im »New Age« liebevoller Zuwendung befinden, fällt mir das Aufholen schwer. In moralischen Begriffen ist das, als würde ich mir immer noch mit Gel dieHaare zurückkämmen und Bass Weejuns tragen (wovon bekanntlich kein Kind der Neunziger auch nur
träumen
würde). Na, gestern erst hab’ ich mich dabei ertappt, wie ich in einen Laden auf der Tottenham Court Road gegangen bin und mir einen CDV-Player gekauft habe. Sie wissen nicht, was ein CDV-Player ist? Schämen Sie sich. Das ist eine Art CD-Spieler, der aber eben nicht nur Musik-CDs, sondern auch Bildplatten spielt. Jetzt können Sie sich also Ihren Lieblingsfilm mit kristallklaren Standbildern und digitalem Klang anschauen. Ein großer Schritt für die Menschheit, wie Sie mir sicher beipflichten werden.
Das bedeutet, daß
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