Papierkrieg
hoffentlich würde
Reichi zahlen.
Das Café zum Bräunerhof ist verraucht, die
Möbel sind durchgesessen, die Bezüge fadenscheinig, die Bedienung unfreundlich.
Doch wie alle anderen großen Cafés auch hat es einen ganz eigenen Charme. Es
ist still, nur das Rascheln des Zeitungspapiers singt im Duett mit dem hellen
Klirren des Steinguts auf den silberglänzenden Servierplatten. Es riecht nach
Tabak und Kaffee, einer ästhetischen Kombination, die nur der von Speck mit
Eiern ebenbürtig ist. Als Sahnehäubchen sind aber die Ober zu nennen. Gekleidet
in Schwarz und Weiß, die Frackschöße ebenso verschlissen wie die Polsterbezüge,
stehen sie rauchend und Kaffee trinkend neben der Kassa.
Wehe dem, der sie ruft, er wird mit so viel Verachtung und Bosheit
gestraft, als ob er ein verurteilter Kinderschänder wäre. Aber auch an der
Unfreundlichkeit kann sich ein Herz erfreuen, ist sie doch viel schöner als die
moderne
McDonald’s-Servilität des implantierten Dauerlächelns.
In typisch wienerischer Unterwürfigkeit
gegenüber Titeln und Ämtern wird vor dem Herrn Professor und dem Hofrat
gekatzbuckelt, inklusive der Frage nach »der Frau Gemahlin ihrem Wohlbefinden«.
Durch all diese Unterwürfigkeitstünche dringt aber stets die Verachtung des
Gastes durch den Ober und ironisiert sie immanent. Der Titelträger verachtet
seinerseits den inferioren Ober, ließe sich aber nie etwas anmerken. Beide
wissen um das Spiel und spielen es um seiner selbst willen.
Dieses Schauspiel, ein höchster Ausdruck menschlicher
Kultiviertheit, das fast im Range eines religiösen Kultes steht, verfehlt nie
seine Wirkung, den eingeweihten Beobachter zu faszinieren. Wie der Karneval in
Venedig, der das wahre Ich hinter Masken verbirgt, tarnt sich hier die
tatsächliche Meinung hinter einer sprachlichen Maske der Freundlichkeit und
Wertschätzung.
Ich hatte meinen Kaffee vor mir und las mich durch den Feuilletonteil
der FAZ, die Krone hatte ich gerade geschafft, als Reichi eintraf.
Draußen regnete es mittlerweile wieder. Reichi schälte sich aus
seiner NORTH-FACE-Jacke, legte die GORE-TEX-Mütze daneben, ließ sich auf dem
Stuhl mir gegenüber nieder und winkte dem Ober.
»Was trinkst du? Mir ein Bier und ein kleines Herrengulasch
bitte«, bestellte er zur Bedienung gewandt.
»Noch einen großen Mokka für mich, das wär’s. Danke.«
»Sehr wohl.« Hinter der steinernen Maske des Obers ließ sich nicht
ausmachen, ob er nur uns oder auch unsere Nachkommen bis ins siebte Glied
verwünschte.
»Also, schieß los, warum geht’s?« Seine Sprache hatte im Lauf der
Zeit einen starken Wiener Einschlag angenommen, hinter der aber in Vokalfärbung
und Betonung der Alemanne hervorlugte.
»Ich brauch deine Hilfe.«
»Dacht ich mir doch, sonst rufst du eh nicht an.«
Ich schaute noch einmal kurz um uns, wir saßen in der Ecke neben
dem Fenster und die Tische rundherum waren unbesetzt.
»Kannst du mir einen Computer knacken, ich meine das Passwort?«
»Windows oder Mac?«
»Mac.«
»Welcher?«
»AirBook.«
»Ausgezeichnet.« Seine Hände reibend, zitierte er wieder die
Simpsons.
»Also kannst du’s?«
»Sicher, kein Problem. Woher hast du denn das Gerät? Geklaut? Du
weißt schon: Sobald du im Internet bist, kann man jeden Mac physikalisch
identifizieren.«
»Der Besitzer braucht’s momentan nicht, ist aber sozusagen derzeit
nicht erreichbar, darum komm ich nicht rein.«
»Schon gut, ich mach’s dir. Hab noch nie ein
AirBook in der Hand gehabt.« Moralische Grundsätze zählen nicht zu Reichis
Fehlern. Sein Gesicht nahm den Ausdruck des Technikfetischisten an, der sich an
Mainboardspezifikationen, Durchsatzraten und Chipdesign begeilt. Ich holte das
Gerät aus meiner Tasche und gab es ihm, er schnalzte mit der Zunge und ließ es in
seiner Umhängetasche verschwinden.
»Und Reichi«, ich holte ihn aus seinem Elektroniklust-Universum
auf die Erde zurück, »kein Wort zu niemandem.«
»Sicher. In was bist du da wieder reingerutscht?«
Ich zuckte mit den Achseln.
Reichi drehte sich um. »Entschuldigen’s, Herr Ober, was ist mit
unserer Bestellung?«
»Kummt scho, kummt scho, kann a net hexn.«
Wir warteten ja gerade erst eine Viertelstunde. Gut Ding will eben
Weile haben. Reichi ließ nicht locker: »Aber die Getränke können S’ doch schon
bringen?«
»Nur net hudln, die Herrn, kummt scho no alls.« Außer uns war nur
eine 80-Jährige in Begleitung ihrer Mutter da. Die beiden
Weitere Kostenlose Bücher