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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pali Meller
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ersten Mal eigene Wohnung – eigener Herr! Das Geld war beim Teufel. Man sagte: »Der Bub muss mit 50   000 Kronen im Tag auskommen. Es ist ja Inflation«. Ich war im Stadtpark, es war Herbst und ich war berauscht von den Farben und den vielen schönen Mädchen, die da liefen. Und der Ober hat gefragt: »Wünschen Sie ein Sorbet?« Ich sagte: »Ja«, ohne zu fragen, was ist das? So schön ist so ein Wort! Soll das 22 Jahre her sein? Oder wieder erst gestern? Zwei Jahre später lande ich in Deutschland; Stuttgart und Karlsruhe. Dann kommt Rom und wieder Karlsruhe – und dann bin ich Diplomingenieur! Schon wieder so ein Wort! Man gratuliert mir dazu! Und fragte dann: »Was beginnen Sie jetzt?« Und ich wusste, dass man jetzt was beginnen musste. Ich begann also damit, dass ich nach Paris fuhr und dann nach Holland. 1925 bin ich da gelandet. Als Kind erzählte man mir, dass die Holländer Zitronensuppe äßen. Das stimmte nicht! Auch dass es nach Teelichtern stinkt, war eine Fabel. Dagegen sahich zum ersten Mai Menschen, die richtig arbeiteten, Anschauungen vertraten und sich, wenn es sein soll, auch dafür schinden ließen. Und im Hafen rasten kleine Schnellboote und die Mädchen hießen »Corri« und »Joopi«, und eine sagte mir mal zum Abschied: »Daag«. Das war die erste Musik, die ich in diesem Land hörte. »Daag« sagte mir auch das göttlich schöne Mädchen vier Jahre später an dem Morgen, an dem ich mit ihm zum Standesamt ging. Das war Mutti. Und als der Beamte sie fragte: wollen Sie die Frau dieses Mannes werden, so sagte sie statt »ja« – »graag«, was »gerne« bedeutet. Wieder ein Wort – so stark verbunden mit dem eiskalten Februartag 1929. Dasselbe Jahr sieht uns in Berlin, das nächste bringt schon Dich zu uns. Der Knabe, der Paul Maria heißt und mein Sohn ist. Gott, wie viel Gestern gibt es noch? Barras Geburt? Muttis furchtbarer Tod? Meine Abreise im Februar? Und schon ist der Film vorbei: Er hat ein paar Minuten gedauert. Es war ein Tonfilm mit Text: Mezzolombardo, Molveno, Krieg, Revolution, Inflation. Dann kam Sorbet und Dipl. Ing. dann Mea, Heirat, Pila, Barra, Tod – und jetzt geht es als Stummfilm weiter. Wenn man das alles bedenkt, so wird unsere Trennung auch kürzer (wie lange sie auch sein möge). Denn zurückblickend ist alles nur eine Sekunde, ein Bild, ein Klang, ein Wort! Also wir glauben daran: das Leben beginnt mit vierzig!! Und wir werden uns das Leben schon lebenswert machen, mein Alter!
    Und jetzt sei innig umarmt und oft geküsst von Deinem Papa. Grüße mir Franzi und alle Freunde. Mein Freund Hans schickt Dir einen Sondergruß.

[12]
    15. Juni 1942 Haus III
     
    Meine Lieben! Allerliebste süße Babizzi! Was hast Du mir ne große Freude mit dem langen Brief gemacht! Und wie war er geschrieben! Ein kleines Kunstwerk! Kannst Du nicht mal Deinen Bruder rufen und ihm zeigen, wie man schreibt? (Er hätte es sehr nötig und könnte viel von Dir lernen! Du beklagst Dich über meine kurzen Briefe: aber erstens war mein letzter Brief schon recht lang, und zweitens sind alle meine Briefe (wenn ich sie in der Anrede auch zuteile) für Euch drei.
    Ich werde weder zu meinem, noch zu Pilas Geburtstag bei Euch sein können. Ich bin weit weg und dahin, wo ich jetzt bin, führt kein Weg für kleine Kinder. Aber denke daran, wie es anderen Kindern geht: die meisten Väter sind im Krieg, sind oft schon Jahre weg, und können nicht mal so oft schreiben wie ich. Diese Trennung ist also ein Teil des Schicksals, das musst Du hinnehmen – genau wie Du einen Sturz auf den Kopf beim Salto in Kauf nehmen musst. Dumm ist der, der sich aufzählt, was ihm alles fehlt (auch wenns ein Papa ist). Klug ist der, der aufzählt was er alles hat! Und da bist Du reich! Hast Franzi und Pila und Freunde und Spiel und Schule und Arbeit mit Tanz – und nicht zuletzt hast Du meine große, innige, verliebte Liebe, die ewig ist. Du weißt ja, wie wir es immer machen: eins, zwei, drei – lachen! Und jetzt lacht meine Babizzi wieder. Sie weiß, dass, was sein muss, eben ist; weiß, dass man nicht die Rosinen aus dem Kuchen pickt, sondern alles isst, wie es kommt!
    Also Kopf hoch – schon damit ich Dich von oben bis unten abküssen kann. Papa.
    Liebster Pila! Dein Brief vom 4. 6. war zum Totlachen. Deine Vorstellungen über den greisen Vater! Du weißt ja genau, wie ich immer war und bin – und ich weiß, wie ich sein werde: immer jung genug, um mit Euch gleichaltrig zu scheinen, immer alt genug, um vom Feuer

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