Papierkuesse
Sohnes erspart, denn seine Mutter war bereits 1925 an einem Krebsleiden, sein Vater 1942 im Alter von 77 Jahren gestorben. Die Schwester Edith hatte mit ihrem Mann Eugen Jenö Kolb und der gemeinsamen Tochter Shoshanna im Sommer 1944 die letzte Chance ergriffen, das seit Frühjahr besetzte Ungarn zu verlassen, währendihre bereits erwachsene Tochter Agnes in Budapest im kommunistischen Untergrund überlebte. Familie Kolb gehörte zu den 1684 Juden, die durch geschickte Verhandlungen zwischen dem jüdischen Rettungskommittee Vaada und der für die Vernichtung der ungarischen Juden zuständigen SS-Behörde aus Budapest ausreisen durften. Der Zug fuhr jedoch nicht in die ersehnte Freiheit, sondern endete zunächst in Bergen-Belsen, wo diese Kasztner Juden genannte Gruppe sechs Monate ausharren musste. Eugen Jenö Kolb hat in dieser Zeit Tagebuch geführt, das einen erschütternden Einblick in den Lageralltag gibt. Nach zähen Verhandlungen zwischen Resö Kasztner und der SS-Behörde erfolgte im Dezember 1944 schließlich die Weiterreise in die Schweiz. Von hier aus wanderten viele der geretteten Kastzner Juden, darunter auch die Familie von Palis Schwester, nach Israel aus, wo Shoshanna heute noch mit ihrem Sohn und den Enkeln in Tel Aviv lebt.
Zwei Jahre nach Kriegsende siedelte Franzi mit den Kindern in eine eigene Wohnung nach Berlin-Kladow um, wo Barbara neben der Schule ihre Tanzausbildung fortsetzte und erste Engagements an der Staatsoper Berlin erhielt. Damit konnte sie schon als Elfjährige zum Unterhalt der Familie beitragen, während ihr Bruder wegen einer Tuberkulose vorübergehend bei der holländischen Großmutter in Den Haag lebte.
Aus Pila wurde nun der wie sein Vater genannte Pali, der sein letztes Schuljahr in der Benediktinerabtei Michaelsberg in Siegburg verbrachte. Anschließend studierte er an der Meisterschule für Grafik, Druck undWerbung in Berlin und fand seine erste Anstellung bei der Deutschen Grammophon in Hannover, der er später nach Hamburg folgte, wo er sein Leben lang blieb. 1955 heiratete er die Schulfreundin seiner Schwester, Digne Bontjes van Beek. Das junge Paar gab sich den erweiterten Familiennamen Meller Marcovicz nach Palis ungarischer Großmutter, unter dem Digne bis heute als Fotografin, Filmemacherin, Journalistin und Autorin firmiert und den auch ihre 1955 geborene Tochter Gioia trägt, die als Möbeldesignerin in London und Venedig lebt.
Ein Jahr vor ihrem Bruder heiratete Barbara Anfang 1954 den angehenden Juristen und späteren WDR-Intendanten Friedrich Wilhelm von Sell. Bald nach ihrem Schulabschluss hatte sie mit einer Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Berlin-Grunewald begonnen, die sie 1955 abschloss. 1956 und 1958 wurden die Kinder Julia und Philipp geboren, die heute beide von Berlin aus in kreativen Berufen tätig sind. Mit der Geburt der Kinder war zwar Barbaras künstlerische Laufbahn zunächst unterbrochen, wandelte sich aber im Laufe ihres Lebens zunehmend in ein soziales und politisches Engagement, für das sie 1986 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Zeitlebens blieb Barbara mit ihrem Bruder eng verbunden. Während Palis Ehe nach zehn Jahren geschieden wurde, blieb seine leitende Stellung bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft die große Konstante in seinem Leben. Er starb 2002 im Alter von 72 Jahren in Hamburg, sechs Monate später starb auch seine Schwester Barbara.
Dass Paul und Barbara als »halbjüdische«, staatenlose Waisenkinder in den Berliner Kriegs- und Nachkriegsjahren überlebten, verdanken sie in erster Linie der couragierten Haushälterin Franziska Schmitt. Auf ihren Antrag wurde 1952 das Urteil gegen Pali Meller aufgehoben. 1957 wurde im Standesamt von Berlin-Schmargendorf postum mit Wirkung vom 18. September 1939 die Ehe zwischen Pali Meller und Franziska Schmitt geschlossen und ihr damit die Pensionsansprüche von Pali Meller zuerkannt. Sie starb 1974 im Alter von 68 Jahren. Eine Gedenktafel an der Gustav-Adolf-Kirche erinnert an das Schicksal von Pali Meller.
1. Adél Meller, geborene Markovits mit ihren Kindern Pali und Edith (um 1904)
2. Pali als junger Mann (um 1922)
3. Petronella Meller, geborene Colpa (um 1930)
4. Pali auf einem in Stuttgart zugelassenen Motorrad (um 1927)
5. Otto Bartning mit Pali Meller und einem weiteren Kollegen vor dem Modell der Gustav-Adolf-Kirche
(um 1932/33)
6. Die Wohnung in der Knobelsdorffstraße 110 im Berliner Westend
7. Entwurf und Ausführung der
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