Paradies
Bewährungsstrafe verhängt. Zu den Bewährungsauflagen gehörte, dass sie eine Zeit lang eine Art Therapie machen musste, aber soweit er wusste, war die Sache aus Sicht der Justiz zu den Akten gelegt worden.
Der Ressortleiter ging zu seinem Schreibtisch zurück und klickte wieder die Meldungen an, überflog alle, die in den letzten Minuten neu hinzugekommen waren. Die Sportergebnisse vom Sonntag trudelten langsam ein, die Nachwirkungen des Orkans setzten sich fort, eine Reihe von Samstagsnachrichten wurde wiederholt. Er seufzte erneut, alles ging einfach immer nur weiter, es nahm nie ein Ende, nirgendwo, und jetzt sollte es wieder umorganisiert werden.
Chefredakteur Torstensson wollte eine neue Chefebene einführen, die Beschlüsse zentralisieren. Das Modell existierte bereits bei ihrer direkten Konkurrenz und ein paar anderen überregionalen Medien. Torstensson hatte beschlossen, dass auch für das
Abendblatt
die Zeit reif war, umzustrukturieren und ein »modernes« Unternehmen zu werden. Anders Schyman dagegen war unschlüssig. Es gab alle Vorzeichen einer herannahenden Katastrophe: sinkende Auflagenzahlen, schlechte Geschäftsergebnisse, die immer düsterer wirkenden Mienen der Aufsichtsratsmitglieder.
Die Redaktion, die mit einem schadhaften Ruder und einem halb kaputten Radar Schlagseite bekam. In Wahrheit wusste das
Abendblatt
nicht, wohin es unterwegs war oder warum. Er hatte es, trotz großer Seminare und Konferenzen zu den Bedingungen und der Verantwortung der Medien, einfach nicht geschafft, ein kollektives Bewusstsein dafür aufzubauen, wo die Grenzen verliefen. Regelrechte publizistische Havarien konnten zwar vermieden werden, seit er bei der Zeitung tätig war, aber die Reparaturarbeiten an früheren Schäden schritten nur langsam voran.
Außerdem, und das bereitete ihm etwas größeres Kopfzerbrechen, als er zugeben wollte, hatte Torstensson Details über einen anderen Job fallen lassen, einen ehrenvollen Auftrag in Brüssel. Vielleicht hatte er es deshalb so eilig mit seiner Umorganisation. Torstensson wollte bleibende Spuren hinterlassen, und das hatte er durch seine publizistischen Leistungen weiß Gott nicht getan.
Schyman stöhnte und klickte sich wieder ungeduldig durch die Liste der Meldungen.
Es musste bald etwas passieren.
Die Dunkelheit lauerte bereits in den Ecken, als sie erwachte. Der kurze Tag hatte aufgegeben, während sie sich schwitzend im Bett gewälzt hatte, sie hätte die letzte Tasse Kaffee nicht trinken dürfen. Sie atmete ein paar Mal tief ein, zwang sich, still zu liegen, und horchte in sich hinein, wie es ihr ging. Sie hatte nirgendwo Schmerzen. Ihr Kopf war ein bisschen schwer, aber das lag an der andauernden Umstellung des Tagesrhythmus. Sie sah zu der fleckigen grauen Decke hinauf. Der Vormieter hatte die alte Leimfarbe mit Acrylfarbe überstrichen, die ganze Decke war voller Risse in verschiedenen Nuancen. Ihr Blick folgte den Rissen, ihrem brüchigen und unregelmäßigen Muster. Fand den Schmetterling im Muster, das Auto, den Totenschädel. Ein einsamer Ton begann in ihrem linken Ohr zu pfeifen, der Einsamkeitston, und trudelte ein wenig auf der Tonleiter auf und ab.
Sie seufzte, musste pinkeln, wie lästig. Sie stieg aus dem Bett, und das Holz fühlte sich rau an unter ihren Füßen, manchmal riss sie sich einen Splitter ein. Sie zog ihren Bademantel an, der Stoff war seidig und kalt auf der Haut, sie schauderte. Sie öffnete die Wohnungstür und lauschte ins Treppenhaus hinaus. Hinter dem Ton war alles still. Schnell trippelte sie eine halbe Etage tiefer zur Gemeinschaftstoilette, und ihre Fußsohlen wurden augenblicklich kalt und schmutzig, aber das war ihr jetzt egal.
Sie bemerkte den Luftzug, als sie wieder in die Wohnung kam.
Die dünnen Gardinen bauschten sich, obwohl sie gar kein Fenster geöffnet hatte. Sie schloss die Tür hinter sich, die Gardinen kamen zur Ruhe. Sie putzte sich die Füße an der Flurmatte ab und ging ins Wohnzimmer.
Eine der oberen Fensterscheiben war während der Nacht zu Bruch gegangen, vom Wind eingedrückt oder von umherfliegenden Gegenständen eingeschlagen worden. Die äußere Fensterscheibe der Doppelverglasung schien völlig zu fehlen, von der inneren waren noch einige große Scherben am Rand übrig geblieben. Auf dem Fußboden unter dem Fenster lagen Putz und Glas, und sie betrachtete die Bescherung, schloss die Augen, strich sich über die Stirn.
Das ist ja wieder einmal typisch, dachte sie und hatte nicht die Energie, das
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