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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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sein Schöpfer etwas von ihm wollen könnte. Außer mir erledigt das niemand. Er sah deutlich, was er erledigen musste, es wurde ihm ganz leicht bei dem Gedanken, er fühlte sich geradezu erleichtert, vielleicht sogar ein bisschen glücklich. Auch die Rolle des Spürhunds begann ihm zu gefallen, sein Schnüffeln, sein Laufen, sein Herumpissen. Er roch auf einmal den Geruch des nahen Flusses. Oder aus einem rätselhaften Grund hatte die Nähe des großen Wassers plötzlich Bedeutung, der riesige Strom, der Rhein, den er von da nicht sehen konnte, doch dessen kalten Geruch ihm die Wellen des Winds in die Nase schlugen. Er konnte kaum atmen, als bekäme er zu viel Luft. Auf einmal hatten Kopfzerbrechen und Verwirrung ein Ende gefunden. Jetzt wusste er, was er zu tun hatte, er fand sich großartig, schwelgte in sich selbst, so wie in den Gerüchen der Luft.
    Er hatte keine andere Wahl, er durfte keinen Punkt im Dunkeln lassen, er musste alles gestehen, und er würde alles gestehen.
    Dazu fühlte er sich regelrecht berufen.
    Er sah sich, wie er das erlegte Wild in der Schnauze jemandem apportierte, von dem er allerdings nicht hätte sagen können, ob es ein Mann oder eine Frau war, es war ja der Schöpfer, und der Schöpfer hat keinen Körper. Er war sich auch bewusst, dass für die Ausführung seines Entschlusses noch einige Kraft nötig war und dass das in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem durchdringenden Flussgeruch stand, mit den Düften, dem Rauschen seines Bluts, dem Zuviel an Luft.
    Er musste die Beute erwischen. Als hätte er sich gesagt, er müsse den Fluss erwischen.
    Er stand mitten auf einem Kiesweg, unter einem Himmel, der sich fortwährend zwischen den Wolken öffnete und schloss. Er musste sich stellen. Und auch wenn an seinem Entschluss nichts mehr zu ändern war, tat es im Voraus doch ein bisschen weh. Seine Brust entblößen. Ein wenig scheute er schon davor zurück, wieder Dr. Kienasts durchdringenden, fast melancholischen, herausfordernden Blick auf sich zu spüren.
    Der tödlichen Gefahr zum Trotz begehrte er den Körper des Unbekannten. Von diesem stets leicht lächelnden, vertrauenerweckenden braunen Augenpaar konnte er so wenig loskommen wie von der Gestalt des unbekannten Toten, von der Schneeschärfe, von der Zauberkühle des Entdeckens.
    Er hatte noch geatmet, auf der Bank liegend, mit herunterhängendem Arm, Schnee war auf ihn gefallen.
    Döhring ging zum Fluss, ohne aber die breite Straße zu überqueren, nicht ans Ufer hinunter, er wollte den Fluss nur von weitem sehen.
    Damit wollte er sich selbst zeigen, dass alles noch vorläufig, nicht endgültig war, dass er bloß Kräfte sammelte, nur einen Moment, schließlich hatte er noch anderes, Wichtigeres zu tun. Von hier aus wurde erst richtig sichtbar, in was für einer endlosen Einöde, unter was für einem gewaltigen Himmel sich die Stadt duckte. So weit das Auge reichte, nur Einöde, über die Einöde des Himmels zogen Wolken ihre eigenen Wege. Auf der Einöde der Erde rasten Autos in zwei Richtungen, tief im Wasser liegend zogen schwer beladene Schlepper langsam vorbei, von Wellen überschwappt. Das Flussbett war zum Überlaufen voll, die vom Wind aufgewühlte Wasseroberfläche lag breit ausgewalzt und bleiig schimmernd. Er stand lange im Wind und hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Die Tante wartete seit fast anderthalb Stunden auf ihn, während er im Glauben, es seien nur ein paar Minuten vergangen, umherlief und herumgaffte. Er freute sich an dem Summen und Rauschen der klatschenden Erfülltheit, Leere, Dichte, Fläche der Welt. Der Wind kam vom Fluss her, schlug hinter seinem Rücken zusammen, fuhr durch die kahlen Bäume des Parks. Aber immer noch drang durch den rhythmischen Lärm des Windes das einheitliche Tosen der Stadt, in das sich manchmal das klagende Tuten der Schleppkähne mischte. Lange war der Widerhall unter den stummen, übereinander wegziehenden Wolken zu hören, die manchmal aufrissen, was jedes Mal auf der Erde ein rasches oder auch träges Lichtsignal hinterließ. Als blitzten oder strichen Scheinwerferstrahlen über die flache Landschaft, es klarte auf, es wurde dunkel, auf einmal so dunkel, als käme der Abend, dann wurde es für einen Augenblick strahlend schön, Himmel, Wasser und Erde pulsierten kurz auf, die Panzer der Fahrzeuge erglänzten, dann verschwamm wieder alles in Dämmer. Nichts kam zu einem Ende. Wahrscheinlich war es der Hunger, der ihn daran erinnerte, seinen Entschluss nun

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